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Guttenberg aussondern?

Die bei Duncker & Humblot erschienene Dissertation Karl Theodor zu Guttenbergs, die in weitem Umfang nicht gekennzeichnete Plagiate enthält, ist aus dem Katalog des Verlages verschwunden. Es stellt sich die Frage, ob Bibliotheken, die das Buch erworben haben, dieses nun ebenfalls aussondern oder wenigstens der Benutzung entziehen müssen?

Das Buch als körperliche Sache steht im Eigentum der Bibliothek, ist meist auch einem öffentlichen Gebrauch gewidmet. Warum sollte die Bibliothek an diesem Werk ihr Eigentum aufgeben? Eine mögliche Urheberrechtsverletzung erledigt sich spätestens nach Eintritt der Gemeinfreiheit der von zu Guttenberg übernommenen fremden Werke. Das Eigentum aber ist im Prinzip ewig.

Gleichwohl können Probleme im Urheberrecht Auswirkungen auf das Eigentum an konkreten Werkstücken haben. Nach § 98 UrhG kann ein Urheber, dessen Urheberrecht durch die unrechtmäßige Vervielfältigung oder Verbreitung seines Werkes verletzt wurde, die Vernichtung von Werkstücken oder ihre Herausgabe gegen einen geringen Ersatz verlangen. Ein Verschulden des Eigentümers des inkriminierten Werkes ist dabei nicht erforderlich. Es genügt allein die Widerrechtlichkeit der Vervielfältigung oder Verbreitung.

Guttenbergs Dissertation wurde im Buchhandel vertrieben und von Bibliotheken regulär erworben. Nach § 10 Abs. 1 UrhG gilt die Vermutung, das Guttenberg der Autor des Werkes ist. Daraus ergibt sich, dass der Vertrieb legal, dass das Verbreitungsrecht durch den Kauf des Buches nach § 17 Abs. 2 UrhG erloschen und dass das Werk in einer Bibliothek der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, also verbreitet werden darf.

Nun hat zu Guttenberg in seinem Werk aber weite Passagen fremder Urheber übernommen, ohne hierzu berechtigt zu sein. Unabhängig von der Frage der Quellenangabe, die in der öffentlichen Diskussion vollkommen überbewertet wurde, liegt die wörtliche Übernahme fremder Werkteile als Ersatz für eigene Ausführungen jedenfalls in dem von zu Guttenberg praktizierten Umfang in jedem Fall außerhalb dessen, was nach § 51 UrhG als Zitat erlaubt ist. Da eine Einwilligung der Rechteinhaber fehlt, liegt eine Urheberrechtsverletzung vor.

Das Erlöschen des Verbreitungsrechts nach § 17 Abs. 2 UrhG setzt in jedem Fall eine ununterbrochene Lizenzkette von den Urhebern zum Verwerter voraus. Da diese durch die Plagiate Guttenbergs, der fremde Ausführungen als eigene Inhalte ausgegeben hat, nicht gegeben ist und auch ein gutgläubiger Erwerb von Nutzungsrechten im Urheberrecht ausscheidet, ist das Verbreitungsrecht der wahren Urheber nicht erschloschen.

Die Konsequenz ist, dass die Bereitstellung von Guttenbergs Dissertation in den Bibliotheken einen Eingriff in das Verbreitungsrecht der Urheber aus § 17 UrhG darstellt. Da Schranken hierfür nicht ersichtlich sind und auch keine Einwilligungen der Berechtigten vorliegen, ist dieser Eingriff auch rechtswidrig. Bibliotheken können daher aus § 98 UrhG von den Urhebern und anderen Rechteinhabern in Anspruch genommen und die Vernichtung und Herausgabe von Guttenbergs Dissertation verlangt werden (so ausdrücklich Nordemann, in Fromm/Nordemann, § 98 UrhG, 10. Aufl. 2008, Rn. 25). Da Bibliotheken im Gegensatz zu Endverbrauchern durch die Bereitstellung von Büchern in der Benutzung selbst Verbreitungshandlungen vornehmen, fallen sie auch nicht aus dem Anwendungsbereich von § 98 UrhG heraus.

Allerdings können Bibliotheken sich auf § 98 Abs. 4 berufen. Danach sind mildere Maßnahmen als die Vernichtung und Herausgabe möglich. Hier sind auch Interessen Dritter zu berücksichtigen. Eine mildere Maßnahme wäre die Sperrung der Benutzung. Der Erhalt von Guttenbergs Dissertation liegt im Interesse Dritter, da sie durch die medien- und politikwissenschaftlich interessante und beispiellose Enttarnung des Plagiats durch kollaborative Strukturen im Internet zu einem wichtigen Dokument der Zeitgeschichte geworden ist.

Was folgt daraus für die Praxis? Die geschädigten Urheber müssen den Anspruch aus § 98 UrhG gegen jede einzelne Bibliothek geltend machen. Vorher besteht grundsätzlich keine Handlungspflicht. Im Interesse der Bestandsschonung sollte Guttenbergs Arbeit gleichwohl rarifiziert bzw. auf eine Präsenznutzung beschränkt werden. In jedem Fall aber ist von einer Aussonderung der Arbeit abzusehen.

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