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Bessere Tools statt IK-Veranstaltungen?

Bei uns in Lüneburg gehört das Thema Katalog-Entwicklung in das Aufgabengebiet Informationskompetenz. Die Einrichtung unseres neuen KatalogPlus, der hiesigen TouchPoint-Installation, hat maßgeblich eine Kollegin betreut, die ansonsten auch die ganze Bandbreite unserer IK-Veranstaltungen von Erstsemester-Einführung bis Citavi-Workshop bespielt. Das ist gut so, denn wer die Punkte kennt, an denen BenutzerInnen bei der Arbeit mit unseren Tools scheitern, kann wertvolle Beiträge dazu leisten, eben jene Tools zu verbessern.

Beim weiteren Nachdenken über die neulich hier als ätzend bezeichneten Aspekte des Themas Informationskompetenz ist mir ein Artikel eingefallen, den ich vor gefühlten 100 13 Jahren in meiner Diplomarbeit zitiert habe:  Send For a Child of Four! or Creating the BI-Less Academic Library von Michael Gorman aus dem Jahr 1991.  Gorman stellt hier die These auf, dass man auf das gesamte Thema Informationskompetenz (damals “Bibliographic Instruction”, kurz BI) verzichten  und stattdessen alle Energie darein stecken sollte, Bibliotheken und ihre Informationsdienste stärker an den Bedürfnissen ihrer BenutzerInnen auszurichten. Konkret: Klarer strukturierte Bibliotheksräume schaffen, sinnvoll und verständlich beschildern, aber  vor allem ein einziges Recherchetool anbieten, mit dem man Bibliothekskatalog und andere relevante bibliografische und Volltextdatenbanken durchsuchen kann und mit dialogbasierten Hilfesystemen dabei unterstützt wird,  die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen zu finden. Gorman optimistisch zu der Machbarbeit solcher Tools:

There are strategic and financial difficulties to overcome, but it is entirely probable that integrated access to all of these (systems) will be widely available during the 1990s.

Hier irrte Gorman, würde ich sagen – gebe allerdings zu, dass ich mich in meiner Diplomarbeit 1998 durchaus von seinem Optimismus habe anstecken lassen. Damals hat man bei einem Recherchetool wie von Gorman skizziert sicher an eine Art förderierte Suche gedacht, bei der die Anfrage parallel an verschiedene Kataloge und Datenbanken geschickt wird und die Ergebnisse in aggregierter und dublettenbereinigter Form zurückkommen.  Ein solches Tool ist das bei uns eingesetzte TouchPoint, allerdings werden die Ergebnisse nicht aggregiert und dublettenbereinigt. Moderne Antworten sind die Discovery-Lösungen, bei denen Metadaten und Volltexte unterschiedlichster Herkunft auf ein einheitliches Format gebracht und in einem zentralen Index zusammengeführt und durchsuchbar gemacht werden. Der zentrale Index sowie die eingesetzte Suchmaschinentechnologie haben dabei den Vorteil, dass man verschiedene Möglichkeiten anbieten kann, die Treffermenge nachträglich nach unterschiedlichen Kriterien einzugrenzen oder auch differenzierte Methoden anwenden kann, die Treffermenge nach unterschiedlichen Relevanz-Kriterien zu durchsuchen.  Solche Lösungen kann man kaufen – zum Beispiel Primo, Summon oder EDS – oder selbst (weiter-) entwickeln, wie beispielsweise die Bremer E-LIB oder die Harburger vuFind-Installation beweisen.

Fakt ist aber: Wenn man eine Discovery-Lösung gut machen will, also an die lokalen Bedürfnisse anpassen, für eine nahtlose Verbindung zu den Verfügbarkeitsinformationen sorgen etc., dann ist das ein ganzer Haufen Arbeit. Für mich ist das Potenzial von solchen Lösungen aber unbestreitbar: Wir können unseren BenutzerInnen damit das Leben leichter machen, weil wir ihnen Zeit und komplexe kognitive Prozesse bei der Evaluierung von Literatur und der Ermittlung ihrer Verfügbarkeit ersparen. Wir können mit den Lösungen gezielt auf die Bedürfnisse unserer Kundschaft vor Ort eingehen, wie zum Beispiel das Project Leftie von Ken Varnum, das auf Basis von Summon in etwa Gormans Traum von 1991 erfüllen dürfte, u.a. weil damit Suchergebnisse an das Expertise-Level der Anfragenden angepasst werden.

Dass bessere Tools jedoch die alleinige Antwort auf die Informations-Inkompetenz dieser Zeit sind, glaube ich nicht wirklich.  Bekanntermaßen bin ich skeptisch, was gewisse Formate und Inhalte bibliothekarischer Informations-Kompetenz-Veranstaltungen angeht. Aber Gormans provokanter These, dass bessere Rechercheinstrumente die IK-Aktivitäten überflüssig machen, würde ich nicht mehr ohne weiteres zustimmen.

Interessant in diesem Zusammenhang: Gorman ist ein sehr umstrittener Bibliothekar, u.a. wegen seiner Thesen zur Sinnlosigkeit von Digitalisierung und bibliothekarischen Weblogs (siehe Wikipedia-Artikel zu seiner Person). Ein Kollege von ihm, Jeff Trzeciak,  wird derzeit in den US-amerikanischen Blogs mit einer ähnlichen Intensität angefeindet wie einst Gorman, und zwar weil Trzeciak die IK-Veranstaltungen zugunsten von E-Learning abgeschafft hat (ebenso wie übrigens die Auskunftstheken) und an Stelle von BibliothekarInnen in Zukunft Software-EntwicklerInnen und PostDocs als FachreferentInnen einstellen will. Klar: Viele Aufgaben bei der Evaluation von Discovery-Lösungen und deren Pflege und Implementierung sind sehr technisch und erfordern entsprechend vorgebildetes Personal. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass bessere Tools bibliothekarisches Wissen brauchen. Ein paar Beispiele für Fragen, die bei der Entwicklung und Implementierung von Discovery-Tools auftauchen und die in einem ersten Schritt von BibliothekarInnen beantwortet werden müssen, bevor es an die technische Umsetzung geht:

  • Auf Basis von welchen inhaltserschließenden Daten bildet man sinnvolle Facetten?
  • Welche Kriterien legen wir im Auskunftsdienst an,  um aus einer Treffermenge von 100o Titeln die von der Nutzerin gewünschte Einführung zu selektieren?
  • Wie könnte man die Suche nach Zeitschriftentiteln verbessern?
  • Welche besonderen Informationsbedürfnisse haben Musik-Studierende und wie könnte ein neuer Katalog ihnen bei der Suche nach den von ihnen gewünschten Materialien helfen?
  • Wie machen wir die Literaturlisten aus dem Seminarapparaten der letzten 10 Jahre zugänglich?

Natürlich brauchen immer mehr BibliothekarInnen immer mehr IT-bezogene Kompetenzen. Ob die Idee eines entsprechenden Zusatz-Zertifikates, die ich in dem Post zu den IT-bibliothekarischen Kernkompetenzen mal angedeutet habe,  wirklich umsetzbar ist, habe ich noch nicht weiter überlegt. Auf jeden Fall brauchen die Tools aber bibliothekarisches Wissen und bibliothekarische Erfahrung – und zwar unter anderem aus den Situationen, in denen man Erstsemestern, PromovendInnen oder neuen studentischen Hilfskräften erklärt hat, wie man Literatur findet, evaluiert, beschafft und publiziert.

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