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500 Euro für alle statt Bibliothek?

Man mag es kaum glauben, aber eigentlich fing meine bibliothekarische Sinnkrise von heute ganz lustig an, denn zunächst konnte ich mich über die im fachlich durchmischten Kollegenkreis entwickelte Idee gut amüsieren: Was, wenn wir die Gelder für den Betrieb unserer Unibibliothek einfach direkt an die Studierenden auszahlen würden? Kurz mal kopfgerechnet und eine Zahl aus dem Hüfte geschossen: 500 Euro könnten wir pro Semester und Kopf auszahlen, wenn wir den Laden einfach dicht machen – und uns selbst feuern, natürlich.

Die Idee sitzt jetzt zum Teufelchen mutiert auf meiner Schulter und quakt mir ins Ohr: Sinnlos ist das bibliothekarische Tun! Google Books macht sowieso alles besser, an der Auskunft leihen wir doch nur Notebookschlösser aus,  Sacherschließung macht die Wikipedia, Bücher verbuchen und transportieren Roboter und für die Einführung in die Recherche gibt’s locker-flockige Filme bei YouTube, die wir in der Qualität sowieso nicht produzieren können. So eine Teufelsstimme macht sich gar nicht gut im als Hintergrund-Geräusch für Gespräche mit Hochschulleitungs-Menschen, die Ideen entwickeln wie: “Wenn wir die Info ganztägig mit dem Wachdienst besetzen, werden doch da Kapazitäten frei.”

In den kommenden Monaten bin ich zu zwei Vorträgen eingeladen, bei denen von mir erwartet zu werden scheint, dass ich Inspiration und Zuversicht verbreiten soll, was die Zukunft unseres Berufes angeht. Das Teufelchen wird wohl mitreisen, nehme ich an:  Edlef Stabenau hat kürzlich auf netbib eine Übersicht über verschwundene Arbeiten in Bibliotheken erstellt, die es (je nach aktueller psychischer Verfasstheit) durchaus vermag, das Feuer in der Sinnkrisen-Hölle noch weiter anzuheizen.

Löschversuch: Was würde passieren, wenn wir die Verteilung der 500 Euro umsetzen würden, jetzt mal abgesehen von der Frage, wie der Lernort Bibliothek (the Starbucks with the books) dann ersetzt würde? Die Leute würden Bücher kaufen, aber vermutlich auch schnell wieder verkaufen. Sie würden Freunde fragen, ob sie ein Buch haben und es ausleihen, Lerngruppen hätten vielleicht einen gemeinsamen Literaturbestand und die Cleveren und Ehrgeizigen würden sich vielleicht zusammenschließen, um elektronischen Content zu kaufen, nachdem sie sich vorher gegenseitig beraten und Erfahrungen ausgetauscht haben. Im Kern machen sie also Aus- und Fernleihe, Erwerbung inkl. Budgetüberwachung und systematischem Bestandsaufbau, Schulung und Beratung. Und sie würden sich nach zwei-drei Semestern wahrscheinlich wirklich freuen, wenn ihnen diesen ganzen Heckmeck jemand wieder abnimmt. Anders gesagt: Wir machen schon einen guten Service.

Von der Vorstellung eines selbstorganisierten studentischen Literaturbeschaffungs-Betriebes, ob nun individuell oder in Kleingruppen, kann man aber vielleicht noch etwas abgucken:  Was hat ein solcher Literaturbeschaffungs-Betrieb, was wir Bibliotheken nicht haben? Eine Art Mikrokosmos als Bezugssystem – also eine klare Ausrichtung auf aktuelle Bedarfe und Themen von Einzelnen und kleinen Gruppen. An unseren Hochschulen dürften Tausende solcher Mikrokosmen existieren: Lern- und Referatsgruppen, Institute und Forschungsprojekte. Unsere bibliothekarische Arbeit zwingt uns zur Orientierung am großen Ganzen: Wir streben nach Synergieeffekten durch kooperative Katalogisierung, nach Einsparungen durch Allianzen, Approval Plans und überregionale Aktivitäten. Ein gewichtiger Grund für eine lokale Bibliothek als physischen Ort sollte aber der individuelle Service sein, mit dem sie berücksichtigt, wie die einzelnen Mikrokosmen arbeiten. Mit welchen Themen beschäftigen sie sich, welche Art und Ausstattung von Arbeitsplätzen benötigen sie, welche Informationen brauchen sie, mit welchen Diensten können wir sie unterstützen. Klingt aufwändig und ist es vermutlich auch – anspruchsvoll zudem, denn der so zu bedienende Mikrokosmos muss erst einmal aufgespürt, kennen gelernt und befreundet werden. Der Kollege, der Teil der eingangs erwähnten Mittagessensgruppe war, wusste weder von der Existenz des Neuerwerbungsformulars noch der der Bibliotheksbeauftragten seiner Fakultät – und dahinter steckt kein Versäumnis von seiner Seite!

Aber dass sich die Hinwendung zu den Mikrokosmen lohnen kann, beweist zum Beispiel der von jeher florierende Service der Semesterapparate in Bibliotheken. Womit wir bei einer Lieblingsidee von mir wären, nämlich der dauerhaften Bereitstellung von Literaturlisten aus Veranstaltungen unserer Hochschulen. Eine meiner Kolleginnen hat eine ganze Regalwand von Ordnern mit Listen aus den vergangenen 10 Semestern im Zimmer, und mit diesem doch recht exklusiven Wissen über empfehlenswerte Literatur zu einem breiten Spektrum an aktuellen wissenschaftlichen Themen sollte sich doch etwas anfangen lassen…

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