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Wie baut man eine nationale Metadaten-Infrastruktur auf?

Anfang des Jahres haben die „Empfehlungen  zur Zukunft des bibliothekarischen Verbundsystems in Deutschland“ des Wissenschaftsrats (PDF), das DFG-„Positionspapier zur Weiterentwicklung der  Bibliotheksverbünde als Teil einer überregionalen Informationsinfrastruktur“ (PDF)  sowie eine gemeinsame Erklärung beider Organisationen in der deutschen Bibliothekswelt einige Wellen geschlagen.

In diesen Papieren wird unter anderem ein nationaler Nachweis aller Bibliotheksbestände als eines der wichtigsten Ziele bei der Entwicklung der zukünftigen wissenschaftlichen Informationsinfrastruktur herausgestellt. In den Wissenschaftsrat-Empfehlungen heißt es etwa: „Eine Zusammenführung der bislang in getrennten Systemen geführten Erschließungsdaten mindestens auf nationaler Ebene stellt in diesem Zusammenhang eine der wichtigsten zukünftigen Aufgaben dar.“ (S.40) Die gemeinsame Erklärung von DFG und Wissenschaftsrat fordert die „Integration bislang regional geführter Kataloge und Dienste auf nationaler und internationaler Ebene“ (S.2, Punkt 4).

Nicht nachvollziehbarer Entstehungsprozess

Ich habe die Entstehung und Diskussion solcher Empfehlungen zum ersten Mal mitbekommen und war sehr über die Intransparenz des Entstehungsprozesses – insbesondere der Wissenschaftsratempfehlungen – erstaunt. In den Empfehlungen heißt es auf Seite 5:

„Sie [die Arbeitsgruppe „Bibliothekarische Verbundsysteme“, A.P.] hat im Rahmen ihrer Arbeit Informationen über alle sechs Verbünde eingeholt und eine Anhörung von Verbundvertreterinnen und -vertretern durchgeführt. Zudem wurden Bibliotheksexpertinnen und -experten und Anbieter von Bibliothekssoftware befragt. Auf dieser Grundlage hat der Wissenschaftsrat eine Bewertung der sechs in Deutschland bestehenden Verbünde insgesamt vorgenommen und Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Verbundsystems aus übergreifender Perspektive erarbeitet. Den Verbünden und weiteren Anhörungsgästen spricht der Wissenschaftsrat seinen Dank aus. In der Arbeitsgruppe selbst haben als Mitglieder – auch ausländische – Sachverständige mitgewirkt, die nicht Mitglieder des Wissenschaftsrates sind.“

Viel mehr Informationen sind nicht zu finden. Protokolle, eine Liste der sachverständigen Arbeitsgruppenmitglieder, der konsultierten Fachleute und Bibliothekssystemanbieter oder einfach nur die Namen der Arbeitsgruppenmitglieder – solcherlei Dokumente sucht man vergebens. Will man mehr wissen, muss man mit Insidern sprechen, was nicht jedem möglich ist.

Es geht auch anders: Aufbau einer Discovery-Infrastruktur in Großbritannien

Als positives Gegenbeispiel möchte ich hier kurz den Prozess in Großbritannien zum Aufbau einer nationalen Rechercheinfrastruktur über die Bestände von Bibliotheken, Archiven und Museen skizzieren: die Research Discovery Taskforce und die darauf aufbauende Discovery-Initiative.[1] Dieses Beispiel zeigt, wie ein solcher Prozess von vornherein weitestgehend offen und transparent aufgebaut wird und auf der Basis von Weblogs und Kommentarfunktionen Rückmeldungen, Kommentare und Kritik durch alle Interessierten ermöglicht werden. Gefördert und durchgeführt wird das Ganze vom JISC und Partnerorganisationen.

Research Discovery Taskforce

Die Arbeit der Research Discovery Taskforce (RDTF) begann 2008. Sie diente dem Zweck, „die Anforderungen zu definieren für die Einrichtung einer gemeinsamen UK-Infrastruktur für Bibliotheken, Archive, Museen und verwandter Quellen, um Bildung und Forschung zu unterstützen.“[2] Eine Liste der Taskforce-Mitglieder ist offen im Web einsehbar.

Die Taskforce traf sich dreimal, um ihre Version auszuarbeiten. Die drei Protokolle der Treffen sind für jeden im Web einsehbar. Beim dritten Treffen wurden verschiedene Szenarios durchgespielt und Visionen von externen Experten (u.a. auch von OCLC, Ex Libris, Talis, UKOLN etc. ) vorgestellt. All diese Dokumente sind im Web publiziert worden (siehe die Links im Protokoll), so dass jede interessierte Person einen guten Einblick in die Diskussion haben kann.

Die Vision

Die Resource Discovery Taskforce (RDTF) Vision ist das wichtigste Produkt dieser Arbeit und wurde im Juni 2008 veröffentlicht. Man beachte, dass es sich um eine recht konkrete Vision handelt, die in einem vierseitigen, illustrierten ansehnlichen Dokument veröffentlicht wurde, und nicht um unkonkrete Gedanken formuliert in einer fünfzigseitigen Bleiwüste. Die Kurzform lautet:

„UK researchers and students will have easy, flexible, and ongoing access to content and services through a collaborative, aggregated and integrated resource discovery and delivery framework which is comprehensive, open, and sustainable.“

Die Umsetzung

Zur Umsetzung der Vision wurde 2011 die Discovery-Intitiative mit einem „Program of Activity“ gestartet: Acht Projekte werden von der JISC gefördert „to investigate new approaches to making metadata about the collections of libraries, museums and archives available in a way that enables the metadata to be reused to enrich the original collection and make it more visible.“ (Quelle) Einige dieser Projekte verfolgen einen Linked-Open-Data-Ansatz.

Jedes Projekt hat einen Blog, auf dem Fortschritte und Nachrichten gepostet werden und Kommentare gepostet werden können. Es gibt ein Hashtag #ukdiscovery mit dem relevante Beiträge auf Twitter versehen werden, um andere Teilnehmer an der Initiative auf interessante Entwicklungen hinzuweisen. Die derart getaggten Tweets werden auf der Discovery-Seite eingebettet. So wird mit einfachen Mitteln eine gute Kommunikationsinfrastruktur zum offenen und transparenten Austausch zwischen den Beteiligten geschaffen. (Sicherlich wird es darüber hinaus noch Mailinglisten für informelle Kommunikation geben…)

Open Data & Metadaten-Austausch-Standards

Einige interessante Informationsressourcen sind im Kontext der Discovery-Initiative bereits entstanden.Ein Open Bibliographic Data Guide wurde entwickelt, der – „in the best spirit of openness“ – bereits in der Entwicklung veröffentlicht wurde, um Rückmeldungen, Kommentare und Verbesserungsvorschläge einzuholen. Dieser Leitfaden ist eine relevante Ressource für alle, die Open Bibliographic Data besser verstehen wollen. Im weiteren Verlauf haben die Akteure der Discovery-Initiative die „Discovery Open Metadata Principles“ veröffentlicht, auf die sich alle Discovery-Teilnehmer verpflichten. (Zum Vergleich: Die grundlegende Bedeutung von Open Data für die Entwicklung einer überregionalen Informationsinfrastruktur wird in den Veröffentlichungen von Wissenschaftsrat und DFG nicht annähernd erkannt und benannt.)

Sehr lehrreich war auch die Entwicklung der Metadaten-Richtlinien für die Initiative. Der erste Entwurf wurde von Andy Powell und Pete Johnston entwickelt. Zur öffentlichen Konsultation wurde er im Februar dieses Jahres online gestellt mit der Möglichkeit durch jede und jeden absatzweise kommentiert zu werden. Fachleute – auch aus der weltweiten „Metadatenszene“ – haben mit ihren Kommentaren Anstöße zur Verbesserung der Richtlinien gegeben. Dies ist eine vorbildliche Art der Entwicklung solcher Richtlinien: Diese Art von Transparenz und Offenheit führen zu einem optimalen Ergebnis und stellen die nötige Akzeptanz von Seiten derer sicher, die sich am Ende danach richten müssen. Außerdem bietet sie anderen die Gelegenheit, auf den Erkenntnissen der Initiative aufzubauen.

Plädoyer für Offenheit und Transparenz bei der Weiterentwicklung der deutschlandweiten Informationsinfrastruktur

Ich habe hier nur ein Licht auf Teile der Discovery-Initiative geworfen, die für mich von besonderem Interesse waren, und mich dabei darauf fokussiert, die Art der Kommunikation nach außen und zu anderen Beteiligten darzustellen. Wer mehr wissen will kann sich noch eine ganze Menge online anschauen.

Diese Intitiative ist noch lange nicht an ihrem Ende angelangt, und es wird sich noch zeigen inwiefern sie erfolgreich sein wird. Dennoch glaube ich, dass die Herangehensweise erfolgversprechend ist: Entwicklung einer klaren knappen Vision, Open Data als Fundament der Infrastruktur, Förderung einzelner Projekte verschiedener Institutionen, die über ihre Aktivitäten bloggen müssen und sich anderweitig austauschen.

Ich wünschte mir, in Deutschland würde die wissenschaftliche Informationsinfrastruktur der Zukunft auf ähnliche Weise entwickelt werden. Vielleicht wird das ja noch…

 

[1] Eine Betrachtung dieser Aktivitäten wäre sicher auch für den Wissenschaftsrat interessant gewesen. Zwar wird in den Empfehlungen die britische Situation zusammengefasst, das konkrete Projekt  findet allerdings keinerlei Erwähnung.

[2] Original: „The purpose of the Taskforce is to focus on defining the requirements for the provision of a shared UK infrastructure for libraries, archives, museums and related resources to support education and research.“

Credits: Foto „roads and railways series #3“ von Flickr-Nutzer woodleywonderworks, publiziert unter einer CC-BY-Lizenz.

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