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Bibliothekarische Stimmen. Independent, täglich.

Führung mit Herz?

Als Nordamerikaner hier unter den Stimmen, bitte ich im Voraus um Entschuldigung, wenn meine Ausführungen auf die englischsprachige Biblioblogosphäre konzentriert werden. Wie mir schon aus Erfahrung bekannt, werden viele von „unseren“ Blogs von deutschsprachigen Kolleginnen und Kollegen aktiv gelesen. Mein Anliegen ist es, auf hoffentlich weniger bekannte Ecken hinzuweisen.

Neulich erschien im Blog In the Library with the Lead Pipe, übrigens ein Blog mit außerordentlich langen aber oft gehaltvollen Beiträgen, der Beitrag „Leading with Heart“ von Eric Frierson. Ein solcher Titel fällt auf, und da denke ich sofort, ach nein, schon wieder eine von diesen Selbstlobreden nach dem Motto „Librarians Rock!“, die zur Zeit in der nordamerikanischen Bibliothekswelt übermäßige Beliebtheit genießen. Kommt Kinder, wir singen eine Runde Kumbaya und versichern uns gegenseitig, dass wir noch wertvoll und relevant sind. Da ich mich aber jetzt irgendwie auf der Führungsebene einer Bibliothek befinde, habe ich dann aber doch weiter gelesen, und mit Gewinn.

Frierson überzeugt, da er das Thema erstens mit gesunder Skepsis angeht

I suspect that for many librarians, the words mission and vision and strategic planning conjure up the same kinds of images. Perhaps you haven’t played Buzzword Bingo, but you’ve exchanged knowing glances with coworkers during planning meetings. You’ve experienced enough strategic planning to know that the majority of the time it’s not going to get you anywhere, and it’s going to take a long time to do so.

aber auch weil er vernünftige und zeitgemäße Ideen aus der Geschäftswelt auf die bibliothekarische Lage bezieht, und zwar in einer Weise, die nicht nur sinnvoll ist, sondern auch erfrischend unbeladen von Pathos und Jargon bleibt. Wer sich in einer Führungsposition, egal wie groß oder klein, befindet und die Beschreibungen der fünf Attribute einer „authentischen“ Managerin lesen kann

  • Zweck
  • Werte
  • Beziehungen
  • Selbstdisziplin
  • Herz

ohne einen schmerzhaften Stich zu erleben als man erkennt, wo man versagt, muss gar nicht weiter lesen. Wer aber zugeben kann, dass der Übergang in die Führungsebene früher oder später eine unbequeme Frage aufwirft, nämlich bin ich genau das geworden, was ich immer verachtet oder verspottet habe (ein böser bzw. inkompetenter Chef), soll weiter lesen und das Ganze verinnerlichen.

Es wird in der nordamerikanischen Bibliothekswelt oft behauptet, in Sachen Führungskräftenachwuchs versagen Bibliotheken kläglich. Dagegen ist wenig einzuwenden, denn die Beweise dafür sieht man mit jeder neuen Stellenausschreibung, wo Bibliotheken nach Bewerbern betteln gehen und/oder die üblichen Verdächtigten in die engere Auswahlliste auftauchen. Hätte man bessere Vorbilder, dann wäre das Problem nicht schon zur Hälfte gelöst?

Foto von roland auf flickr