Das erste Archiv, dass ich kennenlernte, war gleich ein besonderes. Es war eher ein Mythos als ein Archiv. Gerade als Jugendlicher den ersten Kontakt mit der Antifa, das erste Mal die Flyer vom Wahlstand der Rechtsextremen am Bahnhof in Marzahn eingesammelt – und nicht wie sonst einfach ein Bogen drumherum gemacht –, schon hieß es, die sollten am Besten zum apabiz, die Flyer. Aufregend.
Vom apabiz wurde auf den Solipartys und Plena immer als Institution gesprochen. Das apabiz wusste alles über alle Nazis und deren Strukturen, das apabiz machte Veranstaltungen, auf die man unbedingt musste, wenn man in Berlin irgendwas mit der Antifa zu tun hatte. Und wenn man wirklich Zugang gefunden hatte, musste man unbedingt einmal zum Recherche-Workshop im apabiz, ansonsten war man kein richtiger Antifa. Der Recherche-Workshop war so etwas wie die Initation. An sich war das apabiz – neben zwei, drei Druckereien, der Lautigruppe und dem Ermittlungsausschuss – die Einrichtung, die man immer gut finden musste, egal in welcher der zahlreichen Gruppen man war und wie sehr man die anderen Antifagruppen scheiße fand. Und jetzt durfte ich das erste Mal mit. Aufregend.
Damals war das apabiz noch in einem ex-besetzten Haus in Kreuzberg untergebracht, heute eher langweilig in einem Gewerbehof. Aber schon damals war der Mythos größer als die Realität. Keine geheimen Eingangskontrollen, keine geheimen Gänge und Türen, noch nicht mal irgendwelche Absprachen. Einfach zur Öffnungszeit reinspaziert, dem Menschen, der fragte, ob er helfen kann, die Flyer in die Hand gedrückt. Fertig. Er schaute sie durch, machte Bemerkungen dazu, wie sehr sie von irgendwelchen anderen Flyern abgeschrieben waren. Da war schon wissen vorhanden, aber keine Geheimnisse.
Der Witz ist aber: Immer noch ist das apabiz eine Institution und zwar eine der politischen Bildung. Das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum – aber man darf nicht denken, dass dem jungen Linken, der ich damals war, irgendwer die Abkürzung, die wie ein Geheimcode klingt, aufgelöst hätte – sammelt seit 1991 kontinuierlich Publikationen und Daten der und über die extreme Rechte in Deutschland. Dazu zählen auch Grenzbereiche, Burschenschaften zum Beispiel, Sekten oder auch fundamentalistische Christinnen und Christen. Mit dieser Sammlung – die eben auch davon lebt, dass junge Menschen Recherchen machen oder Flyer einsammeln – hat sich das apabiz als gesellschaftlich relevantes Archiv etabliert. Nicht nur, dass hier, wie in jedem ordentlichen Archiv, Sammlungen liegen, die anderswo nicht vorhanden sind. Vielmehr ist es hier Prinzip, dass die Dokumente sofort wieder genutzt werden, um Dokumentationen zu erstellen, Zusammenfassungen herauszugeben und Vorträge für Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zu erarbeiten. Zahlreiche Journalistinnen und Journalisten nutzen lieber die Dokumente und Sammlungen des apabiz, wenn sie über die extreme Rechte, den rechten Rand der Konservativen oder auch antisemitischen Tendenzen in der Linken recherchieren, als beispielsweise die Informationsbrocken, die man von Verfassungsschutz oder der Polizei erhält. Letztlich vertraut das apabiz, wie ein ordentliches Archiv, darauf, dass die Nutzerinnen und Nutzer selber aus den Materialien Schlüsse ziehen werden. Gleichzeitig gibt es mehrere Dutzend Journalistinnen und Journalisten, die – über Umwege wie die Jungle World oder das fsk – heute von ihrem Schreiben leben und ihre erste Rechercheausbildung im apabiz erworben haben.
Wie gesagt: Die Rechercheworkshops sind eine Legende. Sicherlich lernt man dort auch einige Dinge, die für Recherchen in der extremen Rechten notwendig sind (Tote Briefkästen, Handys zum „verbrennen“, ungefährliches Wegkommen und so weiter), aber hauptsächlich geht es darum, Informationen systematisch zu erheben, auszuwerten und zu verifizieren. Wir hier als Bibliothekarinnen und Bibliothekare, Archivarinnen und Archivare würden es Informationskompetenz nennen.
Einst wurde das apabiz gegründet, um – ein Zitat aus Gesprächen dort – „zu verstehen, was die Nazis eigentlich denken, was die da eigentlich erzählen“. Es ging darum, nicht einfach dagegen zu sein, sondern zu wissen, warum. Heute kann das apabiz – neben dem Archiv der Jugendkulturen – zum Beispiel in Anspruch nehmen, dazu beigetragen zu haben, dass quasi alle Lehrerinnen und Lehrer wissen, auf welche Symbole und Marken sie bei der Kleidung ihrer Schülerinnen und Schüler achten müssen, um rechtsextreme Einstellung zu identifizieren. Auch die Debatten um die Neue Rechte wären ohne die Dokumentationen des apabiz nicht möglich gewesen. In gewisser Weise treibt das apabiz und Forschende, die sich auf die Bestände dieses Archives stützen, die staatlichen Einrichtungen bei der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten an.
Dass das apabiz das erste Archiv war, welches ich kennenlernte, hatte selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Wahrnehmung der Arbeit von Archiven. Oft vermisse ich zum Beispiel in anderen Einrichtungen eine Vorstellung davon, was mit den jeweiligen Beständen in Archiven angefangen werden kann. Vor allem aber überrascht mich immer wieder, wie wenig die Archivarinnen und Archivare in anderen Archiven eigentlich selber aus ihren Beständen machen. Im apabiz – und dem schon erwähnten Archiv der Jugendkulturen – ist zumindest schneller ersichtlich, wozu die Bestände eigentlich gesammelt werden. Der Eindruck, dass einfach des Sammeln wegens gesammelt wird, kommt nicht auf.
Dabei treiben auch die dort Tätigen immer wieder archivalische Fragen um. Man darf sich das nicht als unprofessionell vorstellen. (Wer will, kann sich bestimmt einmal durch die Sammlung führen lassen, um das selber zu überprüfen.) Trotzdem lebt das Archiv von Spenden und nicht von der öffentlichen Hand. Keine Ahnung, ob es ein Vorbild für andere Archive ist oder ob es nur meine Biographie ist, welche die Hochachtung vor der Arbeit des apabiz bedingt. Erwähnen wollte ich es trotzdem einmal.
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