Pl4net.info

Bibliothekarische Stimmen. Independent, täglich.

Immer da wo du bist bin ich nie: Erstis und Informationskompetenz

Drilldown in Business Source PremierWie so oft habe ich mich heute mal wieder von Meredith Farkas verstanden gefühlt, und zwar bei der Lektüre ihres Artikels “I need three peer reviewed articles”. Heute in der Info-Schicht war da auch wieder eine von den Erstsemestern, die “Artikel aus Fachzeitschriften, aber nicht The Economist” für eine 4-6-seitige Hausarbeit über staatliche Maßnahmen in den USA zur Eindämmung der Finanzkrise suchte. Wir haben uns dann nett unterhalten – darüber, was wohl die Unterschiede sind zwischen einer Fachzeitschrift und “The Economist”, ob man jetzt besser die aktuellen Hefte unserer Wirtschafts-Zeitschriften durchblättert oder in Business Source Premier sucht und ob sich der Besuch der Schreibwerkstatt für sie lohnt, die wir in der Bibliothek für die Vorbereitung auf die erste Hausarbeit anbieten.

Es freut mich immer sehr, wenn ich Zeit für solche Beratungen habe – die bilden im Grunde nämlich das perfekte Drehbuch für die Erstsemester-Einführungen, die uns gerade auf Trab halten. Meine These dazu: Wir holen die Erstis in diesen Veranstaltungen nicht immer da ab, wo sie sind. Lebenspraktische Infos wie die zu Öffnungszeiten, Ausweis und Ausleihe sind unstrittig. Aber warum überhaupt Bibliothek? Was zeichnet die Ressourcen aus, die wir haben? Wie wird wissenschaftliche Literatur eigentlich publiziert? Wie kann ich beurteilen, ob etwas für eine Arbeit relevant ist? Wir experimentieren in diesem Semester zum Beispiel in unseren Erstsemester-Einführungen mit einer Folie, auf der wir einen Artikel aus dem “Spektrum der Wissenschaft” und einen aus einem Peer-Reviewed Journal gegenüberstellen und erstmal ganz formale Unterschiede aufzeigen – Fußnoten, Unterschiede in der Gliederung, Angaben zur Authorität der VerfasserInnen etc. Das scheint ganz gut anzukommen, jedenfalls ist die Aufmerksamkeit meinem Eindruck nach bei diesem Teil der Veranstaltung weitaus größer als dann, wenn wir erklären, wie man sich vor einer Datenbank-Recherche ein Begriffsdiagramm anlegt oder Literaturangaben nach Citavi übernimmt. Auch das gemeinsame Nachdenken darüber, warum eine Treffermenge im Bibliothekskatalog eigentlich nach Aktualität geordnet ist und damit ganz anders als bei Google, funktioniert gut ( weitere Inspirationen für Google-Bibliothek-Vergleiche finden sich in Thomas Hapkes Vortrag “Die Nadel im Heuhaufen und die TU-Bibliothek”).

Einen Satz, den ich schon lange in Bibliotheksführungen sage, ist: “Bibliotheken sind nicht selbsterklärend – bitte fragen Sie, wenn Sie etwas nicht finden”. Ganz besonders bei Erstsemestern ist es wichtig, die vielen Dinge, die für uns sonnenklar sind, ganz deutlich zu machen – warum wir im Magazin nach Erwerbungsdatum und nicht nach Themen aufstellen oder dass man durch die erste Schranke gehen kann, ohne einen Alarm auszulösen, weil die Ausleihe erst dahinter kommt. Aber auch die Wissenschaft und das wissenschaftliche Arbeiten sind nicht selbsterklärend. Man kann nicht Zitate aus Fachzeitschriften fordern und nicht erläutern, was diese qualitativ auszeichnet. Zugegeben: Ich habe das auch nicht erklärt bekommen, aber ich habe auch studiert, als man absonderliche Fragestellungen noch nicht mit auf den ersten Blick zufriedenstellenden Ergebnissen in Browser-Suchschlitze eintippen konnte, sprich: als Bibliotheken noch das Monopol darauf hatten, wissenschaftliche Informationen zu speichern und nutzbar zu machen.

Und eben weil wir dieses Monopol nicht mehr haben und so vieles – scheinbar oder tatsächlich – Wertvolles sich einfach ergooglen statt mühsam bibliografieren und fernleihbestellen lässt, ist es so wichtig, das Wissen, was wir implizit in unseren Köpfen haben, explizit zu machen. Ich erinnere hier gerne an ein Beispiel-Katalogisat, das ich in beluga-Vorträgen gern verwendet habe, um zu verdeutlichen, wie vollkommen daneben unsere Titelaufnahmen sind: Diesen Titel wollte doch ernstlich jemand für ein Referat über Vulkanismus im 5.Semester bestellen. Die bloße Einblendung von Titelbildern hätte bei der Relevanzbeurteilung geholfen, aber es gibt doch noch so viel mehr Wissen in unseren Köpfen, das wir selbstverständlich nutzen, wenn wir jemandem beim Auffinden von potenziell geeignter Literatur finden: Wissen über Verlage, den Rückschluss, dass eine Zeitschrift so abseitig nicht sein kann, wenn sie von fast jeder WB in Deutschland gehalten wird und so weiter.  Ich glaube, dass Informationssuchende durchaus von unserer “Denke” profitieren könnten – natürlich haben die Damen und Herren Lehrenden das letzte Wort dabei zu entscheiden, ob jemand jetzt in seiner Hausarbeit den Forschungsstand angemessen referiert hat – aber unsere bibliothekarischen Hausmittelchen bei der Relevanzbeurteilung sind sicherlich für viele Belange schon ganz brauchbar. Wir sollten bloß aufhören damit, Erstsemestern Oberflächen von irgendwelchen Katalogen und Datenbanken zu erklären, sondern gleich an Fragen wie “Was heißt eigentlich Peer Review?” oder “Wie lese ich bibliografische Angaben und entscheide auf der Grundlage, ob das was für meine Hausarbeit ist” heran.

Kommentare sind geschlossen.