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Staatspolizei in der Bibliothek

Bei der Kombination von „Bibliothek“ und „Polizei“ denke ich normalerweise an die Berliner Polizeibibliothek, an der ich zufällig bei einem Stadtspaziergang vorbeigegangen bin, oder an die Auswirkungen des US Patriot Act auf Bibliotheken. Beim Durchblättern alter Hefte der VÖB-Mitteilungen bin ich aber auf einen Beitrag gestoßen, den ich heute als Art „Fundstück des Monats“ präsentieren möchte. In der Ausgabe 44 (1991) 2 wurde ein Protestschreiben der Bediensteten an der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Wien mit dem Titel „Betrifft: Staatspolizeiliche Aktionenan der UBTU Wien“ abgedruckt.

<zitat>Am Dienstag, dem 16. April 1991, wurden zwei Kolleginnen wegen des Verdachts auf Begehung einer strafbaren Handlung nach § 319 des Strafgesetzbuches aufgrund eines richterlichen Haftbefehles verhaftet. Vorgeworfen wurde ihnen, geheimes Informationsmaterial an einem militärischen Nachrichtendienst einer fremden Macht weitergeleitet zu haben. Am selben Tag wurden sowohl die Privatwohnungen der Kolleginnen als auch deren Amtsräume an der Universitätsbibliothek von der Staatspolizei durchsucht. Die Freilassung der Kolleginnen erfolgte erst nach 56 Stunden Haft. Die einzigen ‚Informationen‘, die jene Kolleginnen weitergaben, bestanden aus an verschiedensten Bibliotheken vorhandener Literatur, zu deren Bereitstellung die Bibliothek aufgrund des Universitätsorganisationsgesetzes im Rahmen der Bibliotheksordnung verpflichtet ist. (…)

Die Bibliothek hat weder die Möglichkeit, noch ist es deren Aufgabe, mehrere hundert Personen, die täglich ihre Dienstleistungen in Anspruch nehmen, auf mögliche Geheimdienstaktivitäten zu überprüfen. Nun beruht aber sowohl die Festnahme der Kolleginnen als auch das immer noch laufende Verfahren [wurde später eingestellt, Anm.] gegen selbige genau auf den ihnen gesetzlich vorgeschriebenen Dienstpflichten, welche beide gewissenhaft und engagiert erfüllt hatten. Ohne diese wäre ein ernstzunehmender Bibliotheks- und damit auch Wissenschaftsbetrieb unmöglich. Dementsprechend groß ist die Verunsicherung aller Kolleginnen und Kollegen, da wir keine Möglichkeit sehen, uns vor weiteren Verhaftungen, Einvernahmen oder Hausdurchsuchungen durch die Staatspolizei [„Polizeiorganisation mit nachrichtendienstlichem Charakter, jedoch ohne nachrichtendienstliche Befugnisse“ (Wikipedia), 2002 in das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung übergegangen, Anm.] zu schützen, weil ja jede Art der Weitergabe von Information offenbar strafbar machen kann, selbst wenn – wie im gegenständlichen Fall – diese Informationen öffentlich zugänglich sind“.<zitatende>

Gesamter Text nachzulesen auf Austrian Literature Online.

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