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Von Hilfe zur Selbsthilfe zum “Mommy Model of Service”

Dieser Dienst macht mich nachdenklich: Auf StartLiteratur kann man sich zum Preis von 0,99 Euro pro Zitat Literatur für Abschlussarbeiten recherchieren, für 6,99 wichtige ExpertInnen für das gewählte Thema ermitteln und für 9,99 Euro weitere “wichtige Tipps für die Forschungsarbeit” erteilen lassen. Gestoßen bin ich auf das Angebot über die Facebook-Seite der Fachschaft Business, Economics und Management an der Leuphana Universität, auf deren Wall das Angebot als Werbung gepostet worden war. Eine namentliche Vorstellung von BetreiberInnen und/oder Team gibt es nicht, lediglich deren Expertise durch Erwerb von Abschlüssen an “renommierten europäischen Hochschulen” wird beworben.

Natürlich würde mich interessieren, ob der Geschäftsgang bei StartLiteratur floriert – ob ich mal nachfragen sollte?  Dass es einen solchen Service überhaupt gibt, ist ein Beleg dafür, dass das Verfassen von wissenschaftlichen Arbeiten vielen Studierenden Kopfzerbrechen bereitet, und die Unterstützungsangebote von Universitäten entweder nicht ausreichen oder nicht genügend bekannt sind. Hey Leute, jede Bibliothekarin besorgt euch mindestens fünf relevante Literaturangaben pro Auskunftsgespräch für lau! Und wir haben genau dafür sogar studiert (immer wieder schön: das Video “Frag EconDesk”)!

Aber mit solchen Marketing-Aktionen ist wenig Staat zu machen, wie die allenthalben sinkenden Zahlen an Beratungsgesprächen an den Auskunftstheken belegen. Peer-to-Peer-Auskunft wie die von StartLiteratur, die mit dem Slogan “Von Studenten für Studenten” wirbt, wirkt möglicherweise allein schon deshalb sympathisch auf die Zielgruppe, weil es erwiesenermaßen so was wie Bibliotheksangst gibt und Wegeführung in Bibliotheken nicht zwangsläufig an einer Infotheke vorbeiführt, wo auch nicht zwangsläufig jemand mit einem einladenden Lächeln sitzt.

Was widerfährt denen, die sich an die Theke trauen? Sie bekommen von uns in der Regeln nicht mehr als Hilfe zur Selbsthilfe. Es ist Teil des bibliothekarischen Ethos, dass man den NutzerInnen hilft, das Selbermachen zu lernen – und das keineswegs nur deswegen, weil Bibliotheken nicht genug Personal haben, um allen Studierenden eine Literaturliste zu erstellen. Der Grund liegt tiefer und ist vielleicht oft nur so halb-bewusst: Meiner Meinung nach ist es so etwas wie der (diplom?-) bibliothekarische Respekt oder gar die Ehrfurcht vor der wissenschaftlichen Fragestellung und die  Entscheidung dafür, stets Neutralität zu bewahren und somit gar nicht anders zu können als zu sagen: “Entschuldigung, aber beurteilen, welche Literatur Sie jetzt lesen sollten, kann und will ich nicht, ich kann Ihnen nur sagen, wie Sie Literatur recherchieren und bestellen”.

Diese Haltung ist sehr ehrenwert. Aber ich würde dennoch und gerade mit Blick auf Dienste wie StartLiteratur entgegenhalten, dass sie nicht mehr zeitgemäß ist. Letztes Jahr habe ich hier vorgeschlagen, dass wir Erstsemestern Gutscheine anbieten sollten für fünf professionell recherchierte Artikel im Wert von 100,- Euro. Das widerspricht jeglicher Selbsthilfe-Policy und Berufsethik, manche sagen sogar, das führt unsere Informationskompetenz-Aktivitäten ad absurdum. Ich finde die Idee nach wie vor nicht komplett abwegig, weil wir damit sowohl den Wert unserer Ressourcen als auch unseres Recherche-Wissens sichtbar machen. Und Neugier erzeugen – sowohl auf die wohl offensichtlich wertvollen Ressourcen als auch das möglicherweise nützliche Wissen, um selbst daran zu kommen. Oder um Widerspruch zu wecken: Wer nach Erhalt von solchen gelieferten Artikeln oder Referenzen dann ins Nachdenken kommt, ob das jetzt wirklich relevante Literatur ist oder ob es nicht noch mehr geben kann, hat die erste Stufe der immer wieder hochgehaltenen Informationskompetenz-Pyramide schon erklommen, weil Problembewusstsein erzeugt wurde. Aus dem selben Grund argumentiere ich übrigens für elaborierte Relevanz-Ranking-Algorithmen in Katalogen, aber das nur am Rande. Als wissenschaftliches Rahmenwerk für ein entsprechendes Umdenken empfehle ich das Kapitel “The Mommy Model of Service” in “Studying Students. The Undergraduate Research Project at the University of Rochester” von Nancy Fried Foster.

Wie auch immer, Kollege Lambert Heller hat recht: Wir müssen reden  – darüber, wie man wissenschaftliches Arbeiten lernt und welche Beratungs- und Unterstützungsangebote sinnvoll sind. Was ist an Peer-to-Peer-Angeboten wie StartLiteratur gut (Note to Self: Ist ein kommerzielles Angebot noch Peer-to-Peer?). Was können und sollen Schreibberatungen, Informationskompetenz-Veranstaltungen oder Lange Nächte der aufgeschobenen Hausarbeit leisten?

Und sollte man das mit dem Gutschein für Volltexte (oder zumindest Referenzen) nicht doch mal versuchen?

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