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Bibliothekarische Stimmen. Independent, täglich.

Buchpreisbindung. Ja? Nein?

Ein wenig bekannter Fakt über die Schweiz: Es gibt hier keine Buchpreisbindung. Genauer: In der italienischen Schweiz gab es bislang nie eine Buchpreisbindung, in der Romandie gab es eine Branchenabsprache, die quasi als Buchpreisbindung wirkte. Diese wurde 1993 aufgehoben. In der Deutschschweiz (und damit auch im romanisch-sprachigen Teil, weil Graubünden als gesamtes Kanton zur Deutschschweiz gezählt wird) gab es eine Absprache zwischen den Verlagen, welche allerdings 1999 nach einer Beschwerde von Buchhändlern von der Wettbewerbskommission als unrechtmässig erklärt wurde und 2007 auslief. Somit gibt es seit fünf Jahren auch keine ausserhalb der Gesetze durchgesetzte Regelung zum Buchpreis.

Das allerdings wird sich ändern. Oder auch nicht. (Oder, wenn man die Schweiz kennt: am Ende wohl ein wenig Ja und ein wenig Nein.) 2011 stimmte die Bundesversammlung (was in der Schweiz das Parlament ist, nicht wie in Deutschland die Wahlversammlung aus Bundesrat und Bundestag zur Wahl des Bundespräsidenten bzw. der Bundespräsidentin – die es ja in Schweiz auch gar nicht gibt bzw. der oder die… ach, lassen wir das jetzt) einer Vorlage für eine gesamtschweizerische Buchpreisbindung zu, die sich an den Regelungen in Deutschland, Österreich und Frankreich orientiert: Die Verlage sollen einen Preis bestimmen, der dann für alle Buchverkaufsstellen gilt. (Mit Ausnahmen selbstverständlich, wir sind hier in der Schweiz.) Aber gerade weil wir in der Schweiz sind, ist das noch lange nicht das Ende der Geschichte. Es regte sich Widerstand gegen diese Regelung. Deshalb wird das Gesetz nun der Bevölkerung vorgelegt. Am 11. März ist es so weit: Die Bevölkerung stimmt darüber ab, ob es in der Schweiz eine Buchpreisbindung geben wird. (Ausserdem steht eine Initiative zur Abstimmung, die allen Schweizerinnen und Schweizern und auch allen anderen, die in der Schweiz arbeiten, sechs Wochen Ferien zugestehen will.)

Es ist die Schweiz. Während anderswo erst zehntausende aus dem Internet krauchen und auf die Strasse gehen müssen, damit bestimmte Regierungen in bestimmten Grossstädten zumindest auf den Gedanken kommen, bestimmten Geheimverträgen nicht einfach so zustimmen (ich sage das mal, ohne Namen zu nennen), lässt man hier das Volk darüber abstimmen, wie lange die Ferien sind und ob Bücher überall gleich viel kosten sollen.

Es ist noch lange nicht klar, wie die Abstimmung ausgehen wird. Vielleicht kann ich demnächst in meinen sechs Wochen Ferien preisgebundene Bücher im Tessin lesen (allerdings nicht in einer Ferienwohnung – das ist eine weitere Abstimmung). Oder auch nicht. Das, zumindest für einen Ausländer wie mich, erstaunliche Ergebnis dieser bevorstehenden Abstimmung ist allerdings, dass die Buchpreisbindung gerade Thema in den schweizerischen Medien ist. Jede Zeitung schreibt dazu, in der Arena (der wichtigen Politiktalksendung) war die Buchpreisbindung am vergangenen Samstag Thema. Die Abstimmung ist mehr präsent, als die zu den sechs Wochen Ferien. Zum Teil wird sogar in den Bars und Bahnen darüber diskutiert. Ich weiss nicht, ob ich mir das in Berlin vorstellen könnte. In Arosa ist es mir passiert.

Eine Übersicht zu den Positionen pro und contra und den Abstimmungsparolen (Parteien und Vereine, die sich für oder gegen die Initiative aussprechen) ist, wie bei jeder Volkabstimmung, beim Bundesrat zu finden.

Dafür

Für die Buchpreisbindung sind erst einmal die linken (Sozialdemokratische Partei, Grüne) und die christlichen Parteien (Eidgenössisch-Demokratische Union, Christlichdemokratische Volkspartei). Ausserdem der schweizerische Gewerkschaftsverband, ProLitteris (quasi die schweizerische VG Wort), der Buchhändler- und Verlegerverband, aber auch zahlreiche Autorinnen und Autoren.

Dagegen

Gegen die Buchpreisbindung sprechen sich die liberalen (FDP. Die Liberalen, Grünliberale Partei) und die rechten Parteien (Schweizerische Volkspartei, Bürgerlich-Demokratische Partei), aber auch die Piratenpartei (die in der Schweiz wohl den liberalen Parteien zuzuordnen ist) aus. Dazu der Schweizerische Gewerbeverband, Economiesuisse (ein offenbar relativ einflussreicher Think-Thank) und andere.

 

Den Abstimmungsparolen nach ist keine klare Abstimmung vorherzusagen, auch die Umfragen können weder eine Zustimmung noch einen Ablehnung prognostizieren. Interessant ist vielleicht, dass in der Romandie die Zustimmung so gross ist, dass sie sogar bis in die Reihen der Parteien hineinreicht, die offiziell gegen die Buchpreisbindung politisieren. (Aber die Romandie ist immer etwas anders. Das Frauenwahlrecht wurde dort zuerst eingeführt, noch heute gibt es eine lokal starke Kommunistische Partei, im Kanton Jura dürfen Ausländerinnen und Ausländer wählen und so weiter. Eine Zustimmung in der Romandie alleine macht noch keine gesamtschweizerische Zustimmung aus.)

Zahlen, Fakten, Zukunftsvisionen

Die Argumente beider Seiten laufen quasi auf das gleiche heraus: Die Schweizer Autorinnen und Autoren sollen unterstützt, die Buchverkäufe stabilisiert, der Buchpreis billig und das Angebot gross gehalten werden. Nur sind die Voraussagen und Angaben sehr unterschiedlich.

Schon die Frage, ob die Bücher in der Schweiz jetzt billig sind, lässt sich so einfach nicht beantworten. Es gibt keine verlässlichen Zahlen dazu, wie viel Bücher kosten. Das muss man vor Ort in der Buchhandlung herausfinden. (Ich habe das getan und würde sagen: 130-170% des deutschen Preises, das Angebot nicht so gross, wie in Berlin, aber besser als in Schwerin. Allerdings bin ich noch nicht durch die Buchhandlungen Züris durch und habe auch die Romandie noch nicht wirklich besucht. Billiger scheint mir in der Schweiz kein Buch sein.)

Man würde als Deutscher in der Schweiz erwarten, dass es beim Bundesamt für Statistik zu dieser Frage schön aufbereitete Graphen gibt (wie halt in Deutschland), aber es gibt nicht mal Schätzungen. Also bleiben Bauchgefühle, zumal ja der Preis in den unterschiedlichen Buchhandlungen auch vollständig frei festgelegt werden kann. Je nachdem, ob man davon ausgeht, dass der Preis mit der Buchpreisbindung steigen oder sinken würde, wird dann auch argumentiert, die Preise wären jetzt hoch oder niedrig. Für nachgewiesene Preisdifferenzen wird manchmal angegeben, dass Preise in der Schweiz nun mal höher sein müssen, als in den angrenzenden Ländern, weil einfach alles in der Schweiz teurer ist (was so nicht stimmt, aber…) und die Buchhandlungen von irgendwas überleben müssen, was dann aber nur zu Diskussion führt, wie viel mehr den gerechtfertigt sei.

Ebenso ist die Annahme, was eigentlich passieren wird, wenn die Buchpreisbindung nicht kommt oder doch kommt, sehr unterschiedlich. Dabei verweisen die Opponenten auf unterschiedliche Vorbilder. Wer gegen die Buchpreisbindung ist, verweist gerne auf Grossbritannien. Da gibt es auch keine Buchpreisbindung, dafür würden Bücher an weit mehr Orten, als nur in Buchläden verkauft. Wer für die Buchpreisbindung ist, verweist je nach Region, aus der er oder sie kommt, auf Frankreich oder auf Deutschland und Österreich. (Mein Italienisch ist noch nicht gut genug, um eine Einschätzung zur Diskussion in der italienischen Schweiz abzugeben, aber ich vermute einfach mal, da ist das dort ähnlich ist.) Da wären die Preise niedriger und kalkulierbarer.

Worauf beide Seiten verweisen ist, dass in den letzten Jahren immer mehr Buchhandlungen in der Schweiz schliessen mussten, vor allem kleine. Allerdings auch das mit unterschiedlichem Impetus. So argumentieren die einen, dass dies ein Ergebnis der freien Buchpreise wäre und nicht sein dürfte, weil Buchhandlungen halt mehr wären, als Läden. Gerade kleine Buchhandlungen wären Kulturorte (Man vermisst in der Diskussion schon, dass auch Bibliotheken Lesungen organisieren. Aber davon vielleicht ein andermal mehr.). Hingegen argumentieren andere – auch solche Personen, die eigentlich für die Buchpreisbindung sind – damit, dass auch in Ländern, in denen eine Buchpreisbindung existiert, Buchhandlungen schliessen würden und das dies eher mit der Umstrukturierung des Buchmarktes zu tun hätte. Gerade die Piratenpartei und die Jungfreisinnigen scheinen oft damit zu argumentieren, dass das auf dem Buchmarkt nicht anders wäre, als im Musikgeschäft.

Eine weitere Frage ist, ob die Bücher mit der Buchpreisbindung teurer oder billiger werden würden und wer davon profitieren oder nicht profitieren würde. Die Verlage? Die Buchhandlungen? Die Autorinnen und Autoren? Die Vorhersagen sind unterschiedlich, aber da man noch nicht mal verlässliche Aussagen über die jetzigen Buchpreise hat, wie soll man da Vorhersagen bewerten? Interessant ist, dass offenbar beiden Seiten das Wohlergehen der Autorinnen und Autoren in der Schweiz oder aus der Schweiz (was ja ein Unterschied sein kann, aber machen wir das jetzt mal nicht zu kompliziert) sehr am Herzen liegt. Wer die Buchpreisbindung befürwortet, argumentiert auch, dass diese den Autorinnen und Autoren zugute kommen würde. Wer gegen die Buchpreisbindung ist argumentiert, dass vor allem die Verlage verdienen würden und das den Autorinnen und Autoren mit einer direkten Förderung, beispielsweise mit Stipendien, mehr geholfen wäre.

Bibliotheken

Bibliotheken kommen, wie schon gesagt, in den Diskussionen kaum vor. Aber wie handeln die eigentlich? Erstmal das Offiziöse: Bibliothek Information Schweiz (BIS), gleichzeitig Branchen- und Berufsverband für Bibliotheken und das Informationswesen, hat eine „Nein“-Parole ausgegeben. Der Buchpreisbindung wird abgelehnt (Protokoll, Punkt 11). Allerdings wird angemerkt, dass dies in der Romandie anders gesehen wird. Der Verband hat ein Präsentation mit Pro- und Contra-Argumenten auf seiner Website bereitgestellt. (Wobei die Pro-Position, die mich ehrlich gesagt eher irritiert denn überzeugt hat, auf deutsch und die Contra-Position zur „Nein“-Parole auf französisch gehalten wurde – als sollte der Röstigraben noch mal expliziert werden.)

Im Alltag müssen die Bibliotheken aber so oder so mit den Preisen der Buchhandlungen umgehen. Und offiziell tun sie das auch, handeln dafür aber zum Teil massive Rabatte oder Sonderkonditionen aus, von denen man nur zum Teil etwas erfährt. Und selbstverständlich nie wirklich offiziell. Gleichzeitig umgehen sie diese Buchhandlungen auch. Ebenso nicht offiziell. Aber schweizerische Bibliothekarinnen und Bibliothekare kennen sich erstaunlich gut damit aus, bei welchem Versänden welche Medien zu welchen Preisen aus welchen Ländern zu erhalten sind – und wann nicht. Man hört auch immer wieder davon, dass jemand jemand kennt, der jemand kennt, die im Ausland wohnt (in Deutschland beispielsweise) und angeblich für diese oder jene Bibliothek Bücher geschickt bekommt, die er oder sie dann beim Pendeln mitbringt. Das würde bestimmt niemand bestätigen, aber die Geschichte wird doch ziemlich oft erzählt. (Sie wäre ja auch logisch: Wenn Bibliotheken dazu gezwungen werden, Preise zu vergleichen, vergleichen sie auch die Möglichkeit, im Ausland zu bestellen. Was anderes wäre ja auch nicht zu erwarten.)

Insoweit müsste man eher sagen, dass sich die Bibliotheken dem Umstand, dass es keine Buchpreisbindung gibt, angepasst haben. Das werden sie auch weiter tun, egal was die Abstimmung am 11. März ergeben wird.

 

(Bild: Buchpreisbindung Ja / Buchpreisbindung Nein. Heidi vs. Bücherwurm. Februar 2012. Bahnhof Chur, aber auch in anderen Teilen der Schweiz. Und auch in französisch.)

Autor: Karsten Schuldt

Bibliothekswissenschaftler am Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft, HTW Chur. Außerdem Redakteur LIBREAS. Pendelt zwischen Hauptort mit Geschichte (Chur), Grossstadt (Berlin) und ähm.... (Zürich).