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Die Discovery-Beziehungskrise und was man gegen Erkenntnisprobleme tun könnte

Ich betrachte die großen Probleme, die viele BibliotheksmitarbeiterInnen mit Discovery-Systemen haben, in gewisser Weise als ausgleichende Gerechtigkeit: Jahrelang wurden die BenutzerInnen dazu gezwungen, Recherchewerkzeuge zu verwenden, die nicht ihren Anforderungen entsprachen und gleichsam aus einer „fremden Welt” stammten; nun hat sich die Situation umgekehrt.

Diese wunderbar zugespitzte Zitat stammt von dem Wiener Kollegen Horst Prillinger. Er hat seine These erstmals am vergangenen Wochenende auf dem BibCamp in Nürnberg vorgebracht und dann noch mal ausführlicher in seinem “Versuch über die Ursachen einer Beziehungskrise” zwischen BibliothekarInnen und Discovery-Systemen dargelegt. Vielen Dank dafür und die “Beziehungskrise” als Diagnose, Horst! Und danke auch an alle Teilnehmenden der BibCamp-Session zu Discovery-Systemen und BibliothekarInnen, die hier dokumentiert ist.

Darin wird mit dem Satz geendet, dass wir als BibliothekarInnen ein “Erkenntnisproblem” haben. Haben wir das aber wirklich? Die einschlägigen Studien aus den letzten zehn Jahren zum Informationsverhalten von Studierenden werden allseits gerne zitiert, aber offenbar tun wir uns mit den Ergebnissen schwer. Wie übrigens auch schon eine Generation von BibliothekarInnen vor uns, denn dass der OPAC weder beliebt noch zielführend ist, haben schon die ersten Usability-Forschungen in den 1980er-Jahren ergeben. Und auch Ursula Schulz zog im März auf der Inetbib-Tagung kein gutes Fazit aus den Ergebnissen von “Zehn Jahren Usability-Evaluation virtueller Bibliotheken“.

Was meine eigene Sicht auf das Thema Discovery entscheidend geprägt hat, waren mehrere Stunden Filmmaterial, die Ursula Schulz, Jörg Schmitt, Marcel Stehle und Co.  im Rahmen von Tests mit einer frühen Fassung von beluga erzeugt haben. Allein schon die Kurzfassung (im beluga-Blog zu sehen) ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie sehr die BenutzerInnen mit unseren Tools fremdeln – sogar den schon “verbesserten Katalogen”  wie damals der Testversion von beluga. Die Filme haben meinen Blick geschärft: Sitze ich heute an der Auskunft, versuche ich so viel wie möglich darüber zu erfahren, was meinem jeweiligen Gegenüber mit dem Katalog oder dem Discovery-System Schwierigkeiten macht – im Grunde ist es doch die Hauptaufgabe an der Information, die gescheiterten Recherche-Selbstversuche unserer BenutzerInnen doch noch zu Erfolgserlebnissen zu machen. Wenn es die Gesprächssituation erlaubt, erkundige ich mich auch gern danach, was als besonders schwierig empfunden wurde und was helfen würde. Das endet übrigens oft darin, dass wir die Rollen tauschen: Vorher war mein Gegenüber frustriert über Katalog, nachher bin ich es – übrigens auch beim Discovery-System.

Aber ich glaube, dass die gängigen Discovery-Systeme generell als weniger “kaputt” wahrgenommen werden, als es beim klassischen Katalog der Fall ist. Sie sind sicherlich noch weit von der Perfektion entfernt, die wir vom Katalog kennen –  aber genau das ist es möglicherweise auch, was uns die Beziehung schwierig macht, denn Perfektion und Genauigkeit sind zentrale Tugenden unseres Berufes. Deswegen denke ich aber auch, dass Schulungsveranstaltungen für das Bibliothekspersonal nicht der Haupt-Ansatz sein sollten, um die Beziehungskrise mit dem Discovery-System zu überwinden. Vielmehr brauchen wir eine breite und ernsthafte Auseinandersetzung mit zwei Dingen, nämlich sowohl den Methoden als auch den Ergebnissen von Forschungsarbeiten zur Nutzung von Katalogen, Discovery-Systemen und Co. Anders gesagt: Wir brauchen Schulungen, aber nicht in der Benutzung von Discovery-Systemen, sondern darin, das Informationsverhalten unserer BenutzerInnen zu beobachten, zu analysieren und die daraus gewonnenen Erkenntnisse in Dienste umzuwandeln. Natürlich ist mir klar, dass sich nicht jede Bibliothek ihr eigenes Ethnografie-Projekt leisten kann. Aber jede Bibliothek sollte es sich leisten, jemanden für die Beschäftigung mit diesen Fragen und dem Transfer des entsprechenden Wissens in die Organisation zu benennen. Dafür wiederum braucht das Thema Platz in den bibliothekarischen Fortbildungskalendern, wo es bislang leider noch fehlt.

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