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“…kommen mit einem viel kleineren Werkkanon aus”

Auf netbib wurde in dieser Woche auf einen Zeitungsartikel aufmerksam gemacht, der die Vorbereitungen der USB Köln auf das Wintersemester beschreibt. Mich hat folgendes Zitat beeindruckt:

Bibliotheksmitarbeiter stellten außerdem fest, dass mit den Bachelorstudiengängen eine geänderte Literaturnutzung einhergeht. Die Studis kommen mit einem viel kleineren Werkkanon aus.

Ich würde diese Feststellung gefühlt bestätigen – zumindest für die meisten Studienfächer. Aber die Frage, ob und wie die Neuordnung der Studiengänge den Literaturbedarf beeinflusst, ist wohl auch noch recht unbeforscht. Wenn man aber annimmt, dass die Kölner These stimmt: Was können wir in Bibliotheken tun, um darauf zu reagieren? Insbesondere wenn man auch noch Zeitknappheit unterstellt und der Ranganathan’schen These anhängt, dass es eine Aufgabe der Bibliothek ist, ihren Nutzerinnen und Nutzern Zeit zu sparen?

Aufstellung: Nahbereiche und Interessenskreise

Classics in Engineering

Bücherregal an der James B. Hunt Library der North Carolina State University

Das Prinzip der “dreigeteilten Bibliothek” ist zwar für öffentliche Bibliotheken entwickelt worden, aber warum nicht mal die Anwendbarkeit auf Universitätsbibliotheken überprüfen? An der James B. Hunt Library der North Carolina State University sah ich Regale mit Literatur-Klassikern für alle angebotenen Studienfächer – für die man Platz hat, weil man große Teile des restlichen Bestandes in Magazine verbannt hatte (weitere Fotos von einem unglaublichen Bibliotheksbesuch hier). Solche Sonderaufstellungen jenseits der Systematik sind in wissenschaftlichen Bibliotheken zwar nicht sonderlich beliebt und es ist sicherlich eine Herausforderung, ein Klassikerregal gut zu platzieren und hübsch zu gestalten.  Auch die Erstellung eines solchen Werkkanons ist vermutlich schwierig – aber gleichzeitig eine nette Gelegenheit, mit den Lehrenden ins Gespräch zu kommen und die Aktualität des eigenen Bestandes zu überprüfen.

Suche: De-neutralisieren

Die Neutralität des klassischen Bibliothekskataloges ist ein Wert an sich, und nicht umsonst erzeugt deswegen die Relevanz-Sortierung von Discovery-Systemen immer wieder Widerspruch in Bibliothekskreisen.  Die berühmte normative Kraft des Faktischen zwingt uns aber, einem neuen Paradigma bei der Informationssuche Platz zu geben, nämlich dem ausdrücklichen Wunsch der Nutzerinnen und Nutzern, wichtige Titel weit vorne zu finden.

Ich halte es nach wie vor für eine der interessantesten Herausforderungen der nächsten 10 Jahre für unseren Berufsstand, diesem Wunsch besser zu entsprechen, also Beiträge dazu zu leisten, wie ein System wie Katalog oder Discovery-Layer signifikante und idealerweise kontextbezogene Empfehlungen für “wichtige” Literatur geben kann. Google hat in dieser Woche vorgestellt, wie man dort gedenkt, das Problem zu lösen: Man möchte einen Empfehlungsdienst für so genannte  In-Depth-Articles aufbauen. Wie der funktioniert? Ausgesprochen bibliothekarisch: Strukturierte Metadaten, sorgfältige Auswahl von “guten” Verlagen.

Informationskompetenz: Widerspruch erzeugen

Zum Ausgleich für die “Don’t make me think”-Mentalität, der die ersten beiden Vorschläge entstammen, müssen auch Wege gefunden werden, wie man von den Trampelpfaden der Werkekanons und Empfehlungsdienste abweichen kann und soll. Eine Bibliothek, die physisch wie virtuell einfach zu benutzen ist und auch die impliziten Fragen ihrer Benutzerinnen und Benutzer beantwortet, hat mehr Möglichkeiten, die verheißungsvollen Wege jenseits der Trampelfade aufzuzeigen – und im Idealfall auch Widerspruch gegen einen Kanon oder einen Empfehlungsdienst zu erzeugen.

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