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Fakten zur Discovery-Beziehungskrise

Drei Kollegen von der Universitätsbibliothek im belgischen Liège eine Umfrage unter BibliothekarInnen dazu gemacht, wie sie Discovery-Systemen wahrnehmen. Die Ergebnisse ihrer Studie haben sie letzte Woche in auf einem Ex-Libris-Anwendertreffen Berlin präsentiert – und zwar unter dem schönen Titel: “Where are my MARC-Records? Librarians’ Perceptions of Discovery Tools”. Eine hoch interessante und wichtige Arbeit!

François Renaville, Laurence Richelle und Paul Thirion haben ihre Umfrage nach der Einführung von Primo im Februar 2013 gestartet – und waren zuerst einmal überrascht von dem großen Rücklauf, denn von 115 KollegInnen haben 72 mitgemacht und zu 22 Statements zu Discovery-Systemen Stellung genommen. Erste Erkenntnis, so kam es mir beim Lesen vor: Das Thema Discovery bewegt die Belegschaft, und in der Tat bestätigt auch die Mehrheit, dass Discovery-Systeme in Zukunft eine zentrale Rolle spielen – wenngleich allerdings der These, dass Discovery-Tools sich in Konkurrenz zu Google befinden, für meine Begriffe überraschend vehement abgelehnt wird. Überraschend finde ich das deshalb, weil wir doch seit Jahren lesen, dass die Informationssuche eben mit Google beginnt. Besteht immer noch die Illusion, dass Universitätsbibliotheken ein Monopol auf wissenschaftliche Informationen haben?

Fast 60% der Befragten halten die Reduktion auf einen einzigen Suchschlitz für eine falsche Idee, und zwar besonders die KollegInnen, die mit dem Thema Informationskompetenz befasst sind. Was vielfach wie als Vereinfachung gefeiert und mit Designpreisen belegt wird (zum Beispiel die Website der Chalmers University Library in Schweden), wird also durch die bibliothekarische Basis ganz anders beurteilt.

Als weiteres Sorgen-Thema ist der Studie zu Folge die Größe der Treffermengen in Discovery-Systemen: Knapp 80% der Befragten in Liège sind überzeugt, dass die bisweilen riesenhaften Ergebnismengen ein großes Problem sind.  Entsprechend groß ist die Überzeugung, dass Schulungen und Training weiterhin notwendig sind.

Ich greife diese Ergebnisse ganz bewusst heraus – alle anderen sind ebenso lesenswert, vor allem die Zahlen zu der Entwicklung von Ausleih-, Fernleih- und Nutzungszahlen elektronischer Datenbanken. Warum ich die zitierten Punkte besonders interessant finde? Weil sie meine Befürchtung stützen, dass es uns BibliothekarInnen vielleicht gar nicht so willkommen ist, da die Recherche allzu sehr vereinfacht wird.  Warum sonst auf Suchschlitze verzichten und außer Acht lassen, dass die reinen Mengen an Ergebnisse viel weniger hinderlich für ein gutes Benutzungserlebnis sind als deren Qualität?

Den norwegischen Kollegen Rurik Greenall habe ich in diesem Jahr schon mehrfach zitiert: Librarians think that users need to eat their greens. Sind Discovery-Systeme aus bibliothekarischer Sicht bloß Fast-Food? Oder gar eine Bedrohung für den Berufsstand? Zu meiner im Februar diesen Jahres – in provozierender Absicht – geäußerten These, dass BibliothekarInnen Discovery-Systeme nicht mögen, weil sie befürchten, die einfach zu benutzenden Systeme könnten ihnen die Erklär-Jobs kosten, habe ich auf Twitter ein wenig Spott geernet. Wohl gemerkt: Ich bin nicht der Ansicht, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt völlig ausgereifte Systeme vor uns haben. Im Gegenteil: Discovery muss und kann noch viel besser werden, speziell wenn wir über Relevanz-Ranking reden.  Und ich glaube auch nicht, dass wir uns das, was ich flapsig Erklär-Jobs nenne, sparen können – aber den Fokus können wir ändern, und eben dabei helfen Discovery-Systeme, weil sie Erklär-Zeit für die Grundlagen sparen und mehr Auseinandersetzung mit den Inhalten möglich machen.

Aber vielleicht mache ich hier auch den zweiten Schritt vor dem ersten – und der wäre die Nachahmung der belgischen Studie, um rein zahlenmäßig mehr Antworten zu bekommen und dann auch international zu vergleichen. Die Idee, einzelne Statements zu Discovery-Systemen separat für Informationskompetenz-Personal auszuwerten, gehört dafür aber in jedem Fall auf den Merkzettel!

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