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Über demografischen Wandel in Bibliotheken- und, natürlich, auch ein bisschen über Discovery

In den Berliner Handreichungen zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft ist kürzlich ein Band erschienen, der sich mit der Motivation von MitarbeiterInnen in wissenschaftlichen Bibliotheken beschäftigt. Zu den entsprechenden Möglichkeiten für Führungskräfte gibt es wenig Neues zu sagen, wie Autor Stefan Wiederkehr selbst feststellt – die Handlungsspielräume sind eng, viel mehr als das Erkennen und Reagieren auf individuelle Motivatoren und eine generelle Fürsorglichkeit zur Beförderung des Betriebsklimas sind nicht drin. 

Was die Arbeit besonders interessant macht sind die Zahlen, die Wiederkehr erhoben hat. An sich auch wenig überraschend, aber nun n Zahlen für unsere Branche belegt: Die Altersstruktur in Bibliotheken hat sich in den vergangenen 10 Jahren stark verändert: Der Anteil von über 50-Jährigen ist von 31 auf 43% gestiegen, der von unter 25-Jährigen von 19 auf 14% gesunken. Noch drastischer sieht es aus, wenn man nur auf die Gruppe der AkademikerInnen schaut, da ist der Anteil der über 50-Jährigen von 26,9 auf 42,7% gestiegen.

Warum ich das erwähnenswert finde? Unter anderem im Zusammenhang mit dem Eindruck, dass sich immer weniger KollegInnen für Führungspositionen finden lassen. Ich wundere mich darüber, dass auch große Bibliotheken in attraktiven Städten für ihre A11-Stellenausschreibungen Bewerbungsfristen verlängern müssen, wie man unlängst auf InetBib beobachten konnte. Ich nehme an, dass es an BewerberInnen mit relevanter Führungserfahrung gefehlt haben wird – und schließe daraus, dass zur Vermeidung dieses Personalmangels geboten ist, den jungen KollegInnen Gelegenheit zu geben, zum Beispiel im Rahmen von Projekten Führungserfahrungen zu sammeln. Auf der ALA-Konferenz in Chicago, die ich im vergangenen Jahr besucht habe, wurde sich gleich mehrere Vorträge mit der gezielten Förderung der jüngeren Generation von Bibliotheksbeschäftigten auseinandergesetzt – vielleicht sollten wir das hierzulande auch einmal tun? Es wird viel auf alternsgerechtes Arbeiten geschaut, aber die gezielte Entwicklung der jungen Generation ist die andere Seite der Medaille.

Dass sich die Investition in die jüngere Generation lohnt, zeigt eine weitere Zahl: In den letzten 10 Jahren ist der Gesamtanteil der Bibliotheksbeschäftigten in allen drei Statusgruppen in etwa gleich geblieben – eher sogar gestiegen als gesunken. “Eat that, Kathrin Passig!” möchte man rufen, wenn man nicht noch ein paar Brocken aus dem Daseinsberechtigungs-Entziehungs-Versuch aus dem letzten Herbst im Halse stecken hätte.

Mir ist bei dem viel diskutierten Aufsatz aber nicht nur wegen der anderswo kritisierten Punkte schlecht geworden, sondern zugegebenermaßen auch deshalb, weil ich auch applaudieren wollte – und zwar dort, wo uns geweissagt wurde, dass bibliothekarische Angebote in der Bedeutungslosigkeit verschwinden werden, weil die Hürden für ihre Benutzung zu hoch sind.

Seither geht mir das Bild von der Lessing’schen Ringparabel nicht aus dem Kopf, wenn ich an die drei Bereiche denke, die wir alle gern als lebensrettend bzw. identitätsstiftend für Bibliothek und Berufsstand heranführen:

  • Informationskompetenz
  • Lernräume und Neubauten mit Wow-Effekt
  • Discovery-Systeme und Digitalisierung

Ob sich wohl eines der Themen langfristig als das echte, das lebensrettende herausstellen wird? Mit welchen Diensten schaffen wir es, eine unverzichtbare Verbesserung für unsere NutzerInnen zu schaffen – ganz im Sinne des im Twitterversum begeistert zitierten Satzes von R.D. LankesWe don’t save libraries by saying “look how important we are,” we save them by being important. 

Trotz einer erwachenden Bau-Zuneigung und unverbrüchlicher IK-Verbundenheit ist mein liebstes doch das Discovery-Thema – und es wurde schon mehrfach totgesagt (u.a. hier oder hier). Aber der Dortmunder Kollege Hans-Georg Becker hat meinem eigenen, bisweilen schwindenden Mut auf die Sprünge geholfen, als er im Rahmen eines Summon-Anwendertreffens sagte:  “Discovery-Systeme sind eine alternativlose Brückentechnologie auf dem Weg der Bibliotheken ins Web.” Ja, das Entdecken von Literatur findet meistenteils jenseits von Bibliothekskatalogen statt – aber beim Einsatz von Discovery-Systemen lernt man was es bedeutet, die eigenen Daten in anderen Kontexten nutzbar zu machen – und damit die eigene Bibliothek irgendwann für irgendwen wichtig zu machen, um bei der Effektivitätsmessung nach Lankes zu bleiben.

Und schließlich muss man dem Thema vielleicht auch einfach mehr Zeit geben. Jakob Voß verglich den Effekt des Webs auf die gesamte Informationswissenschaft kürzlich mit dem Sputnik-Schock – und ich finde, er hat da nicht zu hoch gegriffen, eher noch im Gegenteil. Die berühmte Schock-Starre erkennt man noch an den vielerorts im Einsatz befindlichen Web-OPACs mit Design im Look von 1998. Aber wer weiß, vielleicht haben am Ende doch die Recht, die an 1998 festhalten und erst wieder auftauchen, wenn Bibliothekskataloge ausgestorben sind und ein paar kommerzielle Dokumentlieferdienste in Kooperation mit ausgewählten Großeinrichtung für Literaturnachweis und -lieferung sorgen? Was solche Fragen angeht, freue ich mich schon auf die Vogel-Perspektive der Lehre: Ab März werde ich mit deutschen und ausländischen Studierenden an der HAW Hamburg den Weg “From library catalogs to discovery interfaces” nachvollziehen und über etwaige Erkenntniszuwächse berichten.

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