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Eine Lanze für die Sacherschließung

Die Studierenden in meinem Seminar “From library catalogs to discovery interfaces” sollten sich neulich Gedanken über den Zweck des Kataloges machen. Ein Ergebnis hat mich beeindruckt, es lautete:

delivering relevant results for the search

Einen ähnlichen Auftrag beschreiben auch die relativ oft zitierten User Tasks in den Functional Requiremens for Bibliographic Records:

select an entity that is appropriate to the user’s needs (i.e., to choose an entity that meets the user’s requirements with respect to content, physical format, etc., or to reject an entity as being inappropriate to the user’s needs)

Was folgt aber daraus, wenn man dem Katalog – oder dem Discovery Tool – eine solche Aufgabe zuweist? Über den “beratenden Katalog” haben wir auf dem BibCamp 2010 schon mal nachgesonnen, und in der ersten Phase des beluga-Projektes hatte Uschi Schulz Ideen entwickelt, wie man klassische bibliothekarische Sacherschließungsdaten im Kontext von Discovery-Projekten besser nutzen könnte. Heidrun Wiesenmüller wirbt schon seit Jahren dafür, diese Daten “härter arbeiten zu lassen“, und Magnus Pfeffer macht Vorschläge, wie man die Erzeugung dieser Daten mit automatischen Verfahren vereinfachen könnte – was nur zu begrüßen wäre, wenn man große Metadatenmengen aus Bibliotheken einmal genauer unter die Lupe nimmt und feststellt, dass der Anteil an “sacherschlossenen” Titeln doch relativ klein ist.

Wirklich viel passiert ist in der Praxis allerdings nicht. BibliothekarInnen, die Sacherschließung machen, kritisieren seit der ersten  Stunde von Discovery-Systemen ihre fehlende Anbindung an Normdateien – und in der Tat ist es doch unbestreitbar eine Verschlechterung, wenn wir auf eine automatische Expansion einer Suchanfrage zum Beispiel um andere Ansetzungsformen eines Namens verzichten müssen. Das bringt uns zwar dem “beratenden Katalog” auch noch nicht näher, erklärt aber einmal mehr die ausbleibende bibliothekarische Liebe zu den Discovery-Systemen.

Allgemein scheint erwartet zu werden, dass die Volltextindexierung die Erschließung mit Schlagworten überflüssig macht. Wird deswegen nicht mehr in das Gebiet der Sacherschließung investiert? Ich hatte kürzlich eine interessante nächtliche Küchentisch-Diskussion mit einer Freundin darüber, und offenbar scheint es nicht nur ihr, sondern auch vielen anderen SacherschließerInnen so zu gehen, dass für eine qualitätvolle Arbeit nicht genügend Zeit bleibt. Wie gesagt: Die Diskussion fand tief in der Nacht statt, und dann scheinen die Schatten vielleicht etwas länger als sonst – aber die Frage, die im Raum hing, treibt mich immer noch um: Leisten wir damit, dass wir das klassische Feld der Sacherschließung aushungern, einer De-Professionalisierung unseres Berufs Vorschub?

Zugegeben: Auch ich schimpfe gern über die Inkonsistenzen und Spärlichkeiten in der Erschließung und lache ebenfalls gern über die bisweilen unfreiwillige Komik von RSWK-Ketten. Und im Rahmen des beluga-Projektes war die Leitung der AG Thematische Recherche, die sich mit der Entwicklung von entsprechenden Funktionen für das neue Tool beschäftigt hat, vermutlich eine der größten Herausforderungen für mich, weil mir die Anspruch und Wirklichkeit der professionellen bibliothekarischen Sacherschließung so weit entfernt schien von den Bedürfnissen der NutzerInnen, die wir in den teils ergreifenden Videos aus den Usability-Studien ermittelt hatten (“Wenn ich keine Ahnung von dem Thema habe, nützt mir die Beschreibung im Katalog überhaupt nichts”) und die die KollegInnen für mein Gefühl zu oft unbeeindruckt gelassen haben.

Insofern habe ich durchaus ein zwiegespaltenes Verhältnis zur Sacherschließung, wie wir sie kennen. Aber ich denke auch, dass man die vorhandenen Daten im Wiesenmüller’schen Sinn besser nutzen kann, und dass das Wissen von SacherschließerInnen sich ausgesprochen nützlich erweisen kann, wenn man die bestehenden Praktiken renovieren will – zum Beispiel in Richtung eines beratenden Kataloges, der das bibliothekarische Wissen darüber, was “gute” Publikationen ausmacht, sichtbar macht und zur Diskussion stellt. Wie immer wird auch das eine Gratwanderung sein: Auf der einen Seite steht der Bedarf der NutzerInnen nach einer aussagekräftigeren Erschließung von Medien, die rasche und verlässliche Antworten zu deren Qualität und Relevanz gibt. Auf der anderen Seite stehen die durchaus richtigen bibliothekarischen Tugenden wie die Neutralität und – etwas impliziter – die vorsichtige Zurückhaltung in der Beratung. Diese verkaufen wir in unserem Bemühen um NutzerInnen-Orientierung vermutlich zu oft unter Wert – und sind gleichzeitig zu wenig offensiv und transparent mit unserem Wissen darüber, welche Kriterien man zur Qualitätsbeurteilung heranziehen kann.

Meinem Eindruck nach hört auch unsere Begleitung zu früh auf: Wir zeigen, wie die Benutzung von Katalogen oder Discovery Systemen funktioniert, aber bei der Auswahl von Literatur lassen wir unsere BenutzerInnen dann lieber allein. Die gängige Sacherschließung bietet nicht genug Unterstützung dabei – entweder weil zu wenig Literatur überhaupt sacherschlossen ist (was man mit automatisierten Verfahren beheben könnte) oder weil die Sacherschließung zu wenig Aussagekraft hat, um die Selektion im Sinne der anfangs zitierten Aufgabendefinition des Katalogs zu ermöglichen.

Vielleicht einmal Zeit für ein neues Katalog-Projekt, Arbeitstitel: “The Sachkatalog strikes back!”. Das Ziel? Die Re-Professionalisierung des Katalogs! Alle bisherigen Ideen für die Nutzung und Erstellung von Sacherschließungs-Daten werden ausprobiert und in unerschrockenem Wagemut so weiterentwickelt, dass die NutzerInnen in der Evaluation sagen: “Mensch, das Ding hat mir jetzt aber echt geholfen bei meiner Suche nach Literatur zu Thema XY”. Ein Katalog-Projekt nur von (Sach-) KatalogisiererInnen – die anderen üblichen Verdächtigen bei Katalog-Projekten dürfen höchstens assistieren. Schade bloß, dass die Truppe so wenig Zeit zu haben scheint.

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