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CIB vs. libOS – Eine Analyse

Analog zu Christian Hauschkes “Operation Frühjahrsputz” einige Gedanken, die ich im April 2013 kurz nach der DFG-Entscheidung zusammengefasst hatte, aber die bisher im Blog auf Halde lagen.

Mit der Bewilligung des CIB-Antrages von HeBIS, KOBV und BVB im Bereich “Neuausrichtung überregionaler Informationsservices” durch die DFG wurde eine weitreichende Weichenstellung für die zukünftige deutsche Bibliothekslandschaft getroffen. Das alternative Konzept libOS von hbz, GBV, SWB und DNB hat die DFG augenscheinlich nicht überzeugen können. Vereinzelt sind bereits Reaktionen auf die Entscheidung gefolgt, wie z.B. die Analyse des CIB-Antrages durch Adrian Pohl, eine große Diskussion darüber in der betroffenen bibliothekarischen Fachöffentlichkeit findet aber – an der Durchschlagskraft der DFG-Entscheidung gemessen – derzeit nur ansatzweise auf InetBib statt.

CIB

Kurz gefasst wird im CIB-Antrag der Weg zu einem internationalen Verbund von kommerziellen Cloudsystemen der Anbieter OCLC und ExLibris skizziert, der auf die deutsche nationale Bibliothekslandschaft heruntergebrochen und durch die antragstellenden Verbünde geregelt vollzogen werden soll. Dabei soll u.a. möglichst viel Offenheit und Gestaltungsmöglichkeiten bei den Anbietern herausgehandelt werden. Grundlage sind verschiedene Prognosen:

  • Die Katalogisierung wird in internationalen Verbünden stattfinden
  • Die Cloudlösungen können für lokale Belange auf Deutschland-Ebene heruntergebrochen werden via Schnittstellen oder Abzug
  • Die Verbund- und Lokalsysteme verschmelzen im Cloudsystem

Auch wenn ich diesen Weg für bedenklich halte, so ist nach meiner Einschätzung das präsentierte Konzept auf den ersten Blick in sich durchaus stimmig und umfassend, gerade wie es die Zukunft von Lokal- und Verbundsystemen und die Konsequenzen skizziert. Allerdings sind viele grundlegenden Annahmen sehr schwammig und zu euphemistisch, wie z.B. zu offenen APIs, Datenschutzanforderungen, Linked (Open) Data (man beachte: mit Klammen um Open) usw. Die wesentlich zu leistende Arbeit im Antrag besteht darin, die beiden Hersteller-Clouds miteinander vertraglich und technisch zu verheiraten und synchronisieren, so dass bestehende nationale Dienste (Fernleihe, Datenanreicherungen, usw.) weiterhin funktionieren können sowie – laut Antrag – den “technischen, organisatorischen, finanziellen und (datenschutz)rechtlichen Übergang” zu gestalten.

libOS

Demgegenüber soll mit libOS technisch und organisatorisch eine vollständig offene und herstellerunabhängige deutschlandweite Erschließungs- und Nachweisplattform für bibliographische Daten  geschaffen werden, die von den beteiligten Verbünden anteilig entwickelt und betrieben wird. Damit sollen dann Endnutzer und Bibliothekssysteme versorgt werden. Durch die Bereitstellung von Basisdiensten sollen komplexe Abläufe und Anwendungen realisiert werden können. Die Informationsversorgung verbleibt explizit in öffentlicher Hand.

Anders als CIB setzt libOS auf eine Optimierung der Zusammenarbeit der Katalogisierungszentren mit dem Ziel einer einheitlichen nationalen Infrastruktur und nicht auf eine de-facto Abschaffung der bestehenden Informationsstrukturen. Technisch kann libOS auf bereits bestehende eigenentwickelte und offene Plattformen, wie CultureGraph, zurückgreifen. Bemerkenswert bei libOS ist aus meiner Sicht, dass die beteiligten Verbünde das Wagnis eingehen die neue Infrastruktur selbst in Kooperation zu erschaffen, während CIB lediglich das bestehende System “abwickelt” und in kommerzielle Cloud-Strukturen überführt.

Probleme mit CIB

Bezogen auf den CIB-Antrag sehe ich gerade die Herstellerabhängigkeit als zentrales Problem. Viele vergessen vielleicht, dass es diese Abhängigkeit bereits jetzt schon gibt. Denn bisher stellen dieselben Hersteller auch die jeweiligen Verbund- und einen Großteil der universitären Lokalsysteme. Das ist auch grundsätzlich kein Problem. Wenn die jeweiligen Systeme die Anforderungen besser als andere (auch Open Source-Systeme) erfüllen, spricht nichts dagegen, dass das jeweilige kommerzielle System angeschafft wird.

Der wesentliche Unterschied ist jedoch, dass im bisherigen Ist-Zustand der Betrieb und die Datenhaltung der deutschen Verbundsysteme in öffentlicher neutraler Hand war und dieser zukünftig in die private Hand der beiden Cloud-Anbieter überführt werden soll, die potentiell auch von Eigeninteressen geleitet sein könnten.

Folgen ergeben sich auch für die Verbünde, da die neuen Cloudsysteme bereits selbst Verbundsysteme sind. Durch ihren Einsatz werden in letzter Konsequenz alle deutschen Verbünde überflüssig – wenn im CIB-Antrag auch nur von den Verbundsystemen gesprochen wird:

Die Arbeit in dieser internationalen Infrastruktur macht die herkömmlichen regionalen Verbunddatenbanken entbehrlich, sie können nach einer Übergangsphase abgeschaltet werden. Ebenso ist eine eigenständige nationale Katalogisierungsumgebung für deutsche Bibliotheken funktional nicht mehr notwendig.

Darüber können auch nicht die Themenfelder ‘App-Entwicklung’, ‘Lokale Cloud-Knoten’ und ‘regionaler Support’ hinwegtäuschen, die einige Verbünde in diesem Umfeld zukünftig besetzen wollen – und als Überlebensstrategie letztendlich auch müssen.

Nicht minder problematisch ist die Gewährleistung der bisherigen Servicequalität und weitere grundlegende Probleme der kommerziellen Cloudsystem, die ich bereits im Artikel Wieviel Cloud braucht das Land thematisiert habe:

Es ist nachvollziehbar, dass die Hersteller die Entwicklung ihrer jeweiligen Systeme vereinheitlichen, zentralisieren und letztlich unnötige Kosten in Parallelentwicklungen (und Sonderanpassungen für die Bibliotheken ) einsparen möchten. In Bezug auf die vorhandenen Funktionalitäten wird dabei gerne von ‘entschlacken’ gesprochen.

Insofern profitieren die Anbieter zuallererst selbst von einer Cloud-Lösung – wo aber Bibliotheken, Verbünde und deren Nutzer ihren konkreten Mehrwert gegenüber den bestehenden Lösungen ziehen, muss thematisiert und klarer dargestellt werden.

Einen guten Überblick von den Chancen und Risiken von Cloudsystemen hat bereits Herr Diedrichs vom GBV auf dem Bibliothekartag 2012 in einem Vortrag gegeben.

Bei der Überführung eines bestehenden lokalen Bibliothekssystems in das Cloudsystem des jeweiligen Anbieters wird man zukünftig zwangsläufig mit der Vereinheitlichung und Entschlackung konfrontiert werden. Von Hause aus bringen die neuen Cloudsysteme folglich nicht mehr all das mit, was man bisher gewohnt ist und worauf die lokalen Arbeitsabläufe optimiert sind. Gleiches gilt für etablierte lokale Sonderanpassungen.

Gelöst werden soll dieses Problem laut den Anbietern ganz einfach über bereitgestellte APIs,  auf deren Grundlage man dann – einheitlich – Sonderanpassungen erstellen und in der jeweiligen Cloud-Community austauschen kann.

Die entscheidende Frage ist hier aber: Werden die APIs überhaupt so umfangreich sein, dass der Status-Quo gehalten werden kann – einmal abgesehen davon, dass man alles noch einmal selbst programmieren darf und damit effektiv – unbezahlt – für den Anbieter arbeitet und dessen Produkt aufwertet. Aber auch das ist nichts Neues, wandert bibliothekarische Expertise bereits seit Jahrzehnten in Form von Konzepten, Change Requests und Aufträgen aus den Verbünden und Bibliotheken zu den Anbietern. Wäre es nicht vorzuziehen diese Expertise endlich für eigene offene Systeme zu nutzen?

Wie offen werden diese APIs sein? Neben den Bibliotheken wird diese Frage vor allem alle anderen Anbieter konventioneller Bibliothekssysteme interessieren, die an die Cloudsysteme andocken wollen. Ist ohnehin schon von einer gewissen Sogwirkung von anderen Anbietern hin zu den beiden Cloudsystemen auszugehen, so wird dies durch mangelnde Offenheit oder im Fall von Open Source System durch potentielle Lizensierungskosten des APIs weiter verschärft.

Neben der Dienstqualität ist auch die zukünftige Datenqualität ein Problem, wie Prof. Wiesenmüller auf InetBib anmerkt:

Betont wird im CIB-Antrag auch, dass die deutschen Daten ja schon im WorldCat seien. Nun ja – aber man muss doch fragen: In welcher Qualität? M.W. müssen bisher erhebliche Abstriche gemacht werden. Auch hier kann man natürlich hoffen, dass durch das CIB-Projekt alles viel besser wird. Aber was passiert, wenn dies nicht der Fall ist? Müssen wir dann letztlich akzeptieren, was die amerikanischen Partner bereit sind, uns zu geben – einfach, weil wir keine Alternative haben?

Probleme mit libOS

Für die zukünftige Enwicklung der deutschen Bibliothekslandschaft ist meines Erachtens die Entwicklung im Bereich der Lokalsysteme entscheidend. Das ist ein Bereich, der im libOS-Antrag – anders als bei CIB – nach meiner Wahrnehmung nur einen nebenläufigen Charakter hatte. Bei libOS wird davon ausgegangen, dass die Struktur der Lokalsysteme im Wesentlichen so heterogen bleibt wie bisher, wenn sie nicht durch Open Source Systeme sogar noch heterogener wird. Davon ist aber nicht auszugehen, wenn die bisherigen Lokalsysteme der grossen kommerziellen Anbieter auslaufen und von Cloudsystemen abgelöst werden.

Es reicht nicht im libOS-Antrag eine offene Katalogisierungsplattform zu erschaffen, wenn sich auf Lokalsystemseite niemand daran andocken kann – denn grundlegende Lokalsystem-Funktionalität stellen im täglichen Routine-Betrieb in deutschen Bibliotheken die Bereiche Ausleihe und Erwerbung dar. Wenn die aktuell etablierten kommerziellen Lokalsystem auslaufen ist es unrealitisch zu erwarten, dass große Universitätsbibliotheken freudig auf ein anderes kommerzielles oder Open Source Lokalsystem, wie z.B. Koha umsteigen werden. Im Hinblick auf den eigenen Betriebsfrieden und den Migrationsaufwand vom alten System ins neue ist sicherlich ein Systemwechsel innerhalb des jeweiligen aktuellen Anbieters deutlich entspannter.

Prognosen

Meine Prognose ist daher ziemlich genau die des CIB-Antrags: Durch die herstellergetriebene Verschmelzung von Lokal- und Verbundsystem werden die Universitätsbibliotheken im Rahmen von typischen Upgrade-Pfaden quasi automatisch integraler Teil des jeweiligen Cloud-Verbunds. Damit einher wird zwangsläufig ein Riss quer durch Deutschland, Verbund für Verbund, gehen – zumindest was die großen Universitätsbibliotheken angeht – zwischen den Bibliotheken, die in die OCLC-Cloud und denen, die in die ExLibris-Cloud wandern.

Wozu dann noch das künstliche Artefakt von zusätzlichen regionalen deutschen Verbünden? Und das umso mehr, wenn man die Tendenz betrachtet, dass  Verbünde – politisch gewollt –  in privatwirtschaftliche Strukturen überführt werden und ihren Unterhalt zukünftig selbst von den Bibliotheken erwirtschaften sollen. Warum als Bibliothek dann für den regionalen oder nationalen Verbund noch zahlen, wenn man ohnehin sein Lokalsystem bezahlt und damit der (private) Cloud-Verbund all-inklusive ist?

Der Lock-In im Cloud-System, das unbezahlte Katalogisieren für die Datenbasis des Cloudherstellers, was sind das schon für Hindernisse, wenn das Geld im Bildungsbereich, und da speziell bei den Bibliotheken, ohnehin knapp gesäht ist? Nicht ohne Grund touren die Hersteller der grossen Cloudsysteme beständig durchs Land und suggerieren den Entscheidern in Präsentationen mit Worten wie “Rechfertigungsdruck der Bibliotheken” usw. dringend gewünschte Einsparungen, die durch den Wegfall der lokalen Systembetreuung und die weltweite gemeinschaftliche Katalogisierung entstehen (könnten).

Die Verbünde haben dann nur noch die Wahl sich arbeitstechnisch als Dienstleister für die Cloudsysteme aufzuteilen, z.B. das hbz und der KOBV betreuen die ExLibris-Kunden und  BVB sowie GBV die OCLC-Kunden. Können Verbundzentralen durch die neue Dienstleistung “Programmierung für das Cloudsystem” noch künstlich am Leben gehalten werden, so wird so manche Hochschule versucht sein ihre Bibliotheks-IT deutlich zu schrumpfen oder ganz auflösen – analog dem Status-Quo bei Öffentlichen Bibliotheken. Für den lokalen Betrieb und die Verbindung sämtlicher Bibliotheks-Services zu einem stimmigen Ganzen für den Nutzer wäre das eine Katastrophe. Lokales Know-How wird vernichtet und muss später wieder teuer von externen Dienstleistern oder dem Hersteller selbst eingekauft werden.

Alternativstrategien

Eine Alternativstrategie müsste – ausgehend von der bisherigen Analyse – zwingend eine offene Katalogisierungsplattform und ein (offenes) Lokalsystem umfassen. Bemerkenswert ist hier die breite aktuelle Aufstellung des SWB, der frühzeitig bei der Lokalsystemseite auf Koha gesetzt hat. Idealerweise würden sich die aktuellen Verbünde mit ihren Entwicklungskapazitäten entsprechend der Anforderungen der Bibliotheken die Arbeit an der Plattform und einem offenen Lokalsystem aufteilen. Das ist umso wichtiger, als dass speziell beim Design und der Einführung eines neuen Lokalsystems “die Bibliotheken und ihre Mitarbeiter mitgenommen werden müssen”. Dafür wäre aber die wesentliche Voraussetung, dass alle, Verbünde und Bibliotheken, an einem Strang ziehen – wovon bei der unterschiedlichen Ausrichtung derzeit nicht ausgegangen werden kann. Und damit sehe ich jegliche Alternativstrategie realistisch von vorherein zum Scheitern verurteilt.

Wir sehen uns dann…. in der Cloud und versuchen wie immer das Beste für unsere Nutzer daraus zu machen.

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