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Überlegungen zur Zukunft der Benutzungsabteilung

Vor inzwischen über vier Jahren hat Edlef Stabenau auf netbib eine schöne Liste mit „verschwundenen Arbeiten“ – Signieren von Fernleih-Scheinen, Einstellen von Katalogkarten usw. – gepostet, die mich seinerzeit schon einmal nachdenklich gestimmt hatte und an die ich wieder denken musste, als eine Benutzungsleitungs-Kollegin neulich fragte : „Was ist eigentlich die Zukunft der Benutzung?“

„Bibliotheken müssen mehr sein als Ausleihstellen, um relevant zu bleiben“ – so untertitelt Robert Barth einen Artikel über „Die Bibliothek als dritter Ort im aktuellen Heft von Forum Bibliothek.  Aber was ist dieses „mehr“? Offensichtliche Antworten aus Fachliteratur und Vortragsprogrammen: Spektakuläre Lernorte, Zusammenwachsen von Ausleih- und Beratungstheken, gerne auch unter Einbeziehung von IT-Themen, neue Auskunfts- und Schulungsformate,  Mitarbeit an Digitalisierungsprojekten und Discovery-Systemen.  Dieses Bild passt auch zu einer eher quantitativen Analyse der Entwicklung einzelner Benutzungsdienste zwischen 2008-20014, die ich einmal in einer stillen (Auskunfts-) Stunde aus der DBS zusammengebastelt habe. Demnach ergeben sich die folgenden „Gewinne und Verluste“:

DBS-Zahlen zu Benutzungsdiensten,  2008-2014

DBS-Zahlen zu Benutzungsdiensten, 2008-2014

Wie immer ist es geboten, solche Zahlen nur mit einiger Vorsicht zu genießen, Grundlage sind auch „nur“ die wissenschaftlichen Bibliotheken. Aber für eine Trendanalyse taugen sie möglicherweise schon. Sie bestätigen beispielsweise, dass es richtig ist, in die Verbesserung der Aufenthaltsqualität unserer Häuser zu investieren.  Das ist jedoch kein bibliothekarisches Thema. Wir können Bau-Fortbildungen machen, um unsere Zusammenarbeit mit Profis zu verbessern, uns in qualitativen Nutzerforschungsmethoden üben, um Bedarfe zu ermitteln und kluge Anträge auf Finanzierung unserer Vorhaben stellen. Und wir können nachher Lorbeeren einheimsen, denn Applaus für hübsche Sessel und überlegt arrangierte Lerninseln ist gewiss.  Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich finde das Thema Lernort wichtig und sehe durchaus auch fachliche Herausforderungen darin – zum Beispiel wenn es darum geht,  verschiedene Theken und Dienste zusammenzuführen und das „Benutzungserlebnis“ zu verbessern.

Aber eine tragfähige Zukunftsvision für die gute alte Bibliotheksbenutzung braucht mehr als eine clever gestaltete Bühne. Die Zahlen zeigen, dass klassische Dienste wie Ausleihe und Information, aber auch relative Newcomer wie Schulungen zwar nicht deutlich steigen, aber ihre Bedeutung nicht signifikant eingebüßt haben. Dem Lob von NutzerInnen für Zeitersparnis durch Selbstverbuchungs-Automaten  folgt nicht selten die Bitte, aber doch keinesfalls auf Menschen zu verzichten, die erklären und weiterhelfen. Das ist ur-bibliothekarisch, und da ist auch noch viel Entwicklungspotenzial – nicht nur, was neue Formate wie Sprechstunden, Schreibnächte oder mobile Beratungen angeht.  Aber auch die Inhalte der Beratung haben sich geändert: Schreiben, Publizieren, Erkenntnisprozesse organisieren – mehr auf Informationskultur schauen und in diese dann bibliothekarisches Know-How einbringen, anstatt die oftmals starren Vorstellungen von einer rein bibliothekarischen Informationskompetenz durchzusetzen. Dass das nötig ist, belegt zum Beispiel die  Arbeit von Olaf Guercke über „Research Consultation Services“, in der ausgeführt wird, dass 50% der Anfragen an die Wissensbar der SLUB (also eines jener neuen Auskunftsformate) im Bereich „Schreiben/Publizieren“ gestellt wurden.  Vielleicht sollten sich BibliothekarInnen zu SchreibberaterInnen weiterbilden lassen? Eine interessante Vorstellung, zumal sich dadurch sicher auch der Blick auf die Recherche als eigentlichem Kernthema verändern würde.

Wenn uns also die klassischen Aufgaben wie Ausleihe und Auskunft erhalten bleiben und auch das Informationskompetenz-Thema zwar möglicherweise einer Neuausrichtung bedarf, aber doch auf dem Programm bleibt, was bringt die Zukunft darüber hinaus? Einschlägige Literatur dazu scheint es kaum zu geben, Innovationen werden offenbar nicht in der Benutzung geboren. „Is digitisation the new circulation?“, fragt ein Artikel, und gibt damit zumindest eine Richtung vor: Mehr Zeit – und mehr Liebe –  in digitale Dienste stecken! Das allerdings wiederum erfordert ebenfalls andere, neue Qualifikationen: Rechtliches Wissen, Verständnis für Programmierung, Empathie und Durchsetzungskraft für Dienste mit hoher Usability und User Experience… Die Liste könnte wohl noch fortgeschrieben werden.

Fakt ist jedenfalls, dass wir in die Auffindbarkeit von elektronischen Ressourcen vergleichsweise wenig Zeit investieren, bzw. leicht ins Schimpfen geraten, wenn wir zum Beispiel bei der Einrichtung von Discovery-Systemen bisweilen unvermeidlichen Aufwand in die doppelte Pflege von unterschiedlichen Wissensbasen wie Katalogen, EZB, Link Resolvern usw. stecken müssen. Das ist zweifellos frustrierend, wird aber letztlich – hoffentlich – nur eine kurze Phase in der wilden Jugend einer neuen Generation von bibliothekarischen Informationsdiensten sein. Auf der anderen Seite hinterfragen wir relativ selten, ob sich beispielsweise die Arbeit in das Binden, Ersatzbeschaffen und Lagern von Print-Zeitschriften lohnt.

Es gibt also durchaus Perspektiven  für die Benutzung, und auch keine schlechten – von der Fernleihe vielleicht abgesehen, zu deren „Entwicklung im digitalen Zeitalter“ der Berliner Kollege Uwe Schwersky  bereits vor einigen Jahren kluge Anmerkungen gemacht hat. Das unbequeme an den Perspektiven ist jedoch, dass sie eine Auseinandersetzung mit den jetzigen Qualifikations- und Tätigkeitsprofilen fordern, die viel selbstverständlicher verändert und weiterentwickelt werden müssten, als es derzeit der Fall ist. Zudem fehlen fundierte Weiterbildungsangebote – immerhin, einen Master für Bibliotheksinformatik gibt es inzwischen. Aber wo lernen wir, Schreib- und Publikationsberatungen  zu machen oder Benutzungsoberflächen zu designen?

Darüber hinaus stellen sich in vielen Benutzungsabteilungen organisationale Frage: Auskunfts- und Servicetheken wachsen zusammen, teilweise werden auch Beratungsangebote zu IT-Themen in die Bibliotheks-Theken integriert.  Vielleicht ist dieser Prozess eine Art „Abfallprodukt“ des Lernort-Themas, kommt also weniger aus uns selbst heraus als durch bauliche Veränderungen. Aber auch die Theken-Integration ist eine Herausforderung, weil sie von uns eine Definition dessen verlangt, was eine bibliothekarische Beratung ausmacht.

Und schließlich fällt noch auf, dass die allgegenwärtigen Auftritte von Bibliotheken in Social Media-Kanälen immer dann auf Gehör stoßen, wenn es um alltägliche Fragen des Aufenthalts vor Ort geht. Kürzlich konnte man auf der Facebook-Seite der SuUB Bremen eine interessante Diskussion um  Transportkörbe verfolgen.  Mit der aktiven Gestaltung und transparenten Kommunikation dieser und anderer Policies können Benutzungsabteilungen Punkte sammeln, die weit über die Dimension der Aufenthaltsqualität hinausgehen.

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