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Benutzungsregeln & der Lernort Bibliothek

Präsenzbestände in Bücherwagen horten. Versuchen, sich vor dem Wachdienst zu verstecken, um die Nacht im Einzelarbeitsraum zu verbringen. Brötchen in den Lesesaal schmuggeln. Buchungs-Seilschaften zur Umgehung des „3 Stunden pro Tag“-Limits für Gruppenarbeitsräume gründen.

Bei aller Freude über die (Wieder-?) Entdeckung der Bibliothek als dritten Ort und das viele schöne Geld, das man unter der Überschrift Lernort zum Erwerb von Sitzsäcken und Co. einwerben kann, ist vielleicht die Frage berechtigt, ob und wie unsere Benutzungsregeln zu überdenken sind, um auf veränderte Nutzungsszenarien zu reagieren und Probleme wie die oben geschilderten zu minimieren

Die klassischen „Strafen“ aus Benutzungsordnungen sind Mahngebühren und der Ausschluss von der Benutzung. Letzterer findet aus guten Gründen nur selten Anwendung und dient mit Blick auf die genannten Vergehen eher der Abschreckung als einer tatsächlich einsetzbaren Waffe.

Einen im Vergleich wohl eher als erzieherisch zu beschreibenden Charakter haben die Mahngebühren – viel gefürchtet und in der Regel mit großer Konsequenz durchgesetzt, in Euro umgewandeltes Zeichen, wie ernst wir es nehmen damit, die Bestände zu hüten. Interessanterweise zeigen Erfahrungen jedoch, dass eine Reform von Ausleihreglen und die Abschaffung von Mahngebühren die gefürchteten Verlustzahlen durchaus senken können (Boyce 2014). Wenn man die Ausleihregeln nutzer_innen-orientiert gestalten wollte, müsste man ohnehin über semesterlange Leihfristen nachdenken, jedenfalls wenn ich mir das Verhältnis von Ausleihen zu Verlängerungen in unseren Statistiken anschaue. Und wenn man Mahngebühren abschaffen würde – wie viel Ärger und Zeit würde man sparen, und würde man wirklich Bestände verlieren? Auch hier hat (Boyce 2014) Zahlen, die nachdenklich machen, ob man sich an die heilige Kuh der Mahngebühr vielleicht einmal herantrauen sollte.

Was aber mit den anderen Verstößen – denen in der Grauzone, die man nicht mit Mahngebühren oder Ausschluss von der Benutzung sanktionieren kann, die aber doch das Bild von einem partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Bibliothek und Nutzer*innen zu trüben in der Lage sind? Mir wurde von neulich „delinquenten“ Nutzer*innen kürzlich angetragen, die Schuld durch Fehlverhalten durch Sozialstunden abzuarbeiten – wir freuen uns nun auf tatkräftige Mitarbeit bei der Regalreinigung, aber grundsätzlich sind solche Sanktionen wohl kaum flächendeckend tauglich.

Teilweise wird die Aufgabe der Einhaltung von Benutzungsregeln auch outgesourct: Schließfachanlagen werden von externen Dienstleistern betreut, vielerorts wird der gesamte Betrieb in Randzeiten und an Wochenenden auch von Wachdiensten betreut (vgl. dazu Duden 2015). Doch unabhängig davon, an wen diese und andere Aufgabenbereiche delegiert: Was auch immer dort getan wird, wird mit der Bibliothek in Verbindung gebracht, ihr positiv oder negativ angerechnet. Insofern entbindet das Outsourcing auch nicht davon, Regeln zu formulieren und zu kommunizieren.

 

fünfgründe

Kampagne “Sauber bleiben im Lesesaal” 2015

Ein interessantes Lehrstück aus dem letzten Jahr war für mich eine Kampagne für den sauberen Lesesaal. Unsere Schilder  – Texte im Stil von „Dein guter Vorsatz für 2015? Nicht mehr im Lesesaal essen. Ist nämlich verboten“ – wurden zwar wahrgenommen, aber wenn es überhaupt eine Verbesserung gab, dann erst nachdem wir den Grund für die Regeln erklärt haben, und dieses in einer offenbar verständlichen und nachvollziehbaren Form.

Gekonnte Kommunikation von Regeln ist das wahrscheinlich beste „Präventionsrezept“ (vgl. Georgy 2010), aber die Umsetzung ist durchaus eine Herausforderung, wir sind schließlich keine professionellen Texter*innen.  Umso mehr hilft es, sich innerhalb von Benutzungsabteilungen und mit anderen Häusern auszutauschen. In einem solchen Rahmen habe ich u.a. auch von der Praxis in Göttingen gehört, wo für die Buchung von Lernräumen ein Guthabenkonto besteht, das mit Sonderpunkten belastet wird, wenn ein gebuchter Raum nicht genutzt wird. Ein gutes Beispiel dafür, wie man sich bei der Regelung von Benutzungsangelegenheiten von Software unterstützen  lassen kann! Und vielleicht ist die Idee eines Punktekontos ohnehin nicht schlecht, wenn es um Regelverstöße in der Grauzone geht – wenn man dann noch definiert, dass man durch Teilnahme an Datenbankschulungen Punkte zurückgewinnen kann, ergeben sich ganz neue Handlungsspielräume… Aber letztlich wird sich wohl kaum eine Bibliothek mit dem Aufwand einer entsprechenden Neuordnung ihrer Benutzungsordnungen belasten wollen. Womit man wieder zurück wäre bei der Aufgabe der “liebevollen und sanften” Kommunikation von Regeln, und dem Vertrauen in ein Publikum, das sich im Wesentlichen verantwortungsvoll verhält. Genau so wie vor über hundert Jahren:

 

Literatur

Boyce 2014
Boyce, Crystal (2014): Practice Makes Perfect: Updating Borrowing Policies and Practices at a Small Academic Library. In: Journal of Access Services 11 (4), S. 282–297.

Duden 2015
Duden, Rolf (2015): Vom Nachtwächter zum Lernortmanager? – Neue Herausforderungen für das Qualitätsmanagement von Wachdiensten in wissenschaftlichen Bibliotheken.

Georgy 2010
Georgy, Ursula (2010): Verbote als Marketinginstrument in Bibliotheken. In: Bibliothek Forschung und Praxis 34 (3), S. 311–322.

 

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