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Binärer Quatsch: Ein Verlagsvorrang im UrhWissG?

In der nächsten Woche wird im Rechtsausschuss die Anhörung zum UrhWissG stattfinden. In der ersten Lesung des Gesetzentwurfes wurde durch den Abgeordneten Stefan Heck (CDU) das Argument vorgebracht, dass Lizenzierungen bei Verlagen Vorrang vor der Nutzung von Schranken haben sollten. In die gleiche Richtung geht ein Artikel des bekannten Berliner Urheberrechtlers Jan Bernd Nordemann im Tagesspiegel vom 18. Mai 2017.

Ein solcher Verlagsvorrang soll vor allem für die Semesterapparate gelten, und Lehrbücher sollten am besten ganz von der Schrankennutzung ausgenommen werden. Begründet wird dies u.a. mit dem so genannten Drei-Stufen-Test, der in der europäischen InfoSoc.-Richtlinie zu finden ist und verbindliche Kriterien für die Formulierung nationaler Urheberrechtsschranken enthält. Nach der zweiten Stufe dieses Tests sind Schrankenbestimmungen unzulässig, wenn sie die normale Auswertung eines Werkes beeinträchtigen. Genau diese Beeinträchtigung wird behauptet, wenn Verlagswerke gegen eine angemessene Vergütung im Semesterapparat genutzt werden sollen, ohne dass es dafür auf einen Vorrang von Verlagsangeboten ankäme.

Diese Argumentation hat einen medialen blinden Fleck. Sie rechnet nicht mit dem Internet als nahezu unerschöpflicher Quelle legal (!) frei (!!) zugänglicher Inhalte. Stillschweigend wird offenbar vorausgesetzt, dass es für Forschung und Lehre NUR in Verlagen erschienene Inhalte gibt, die entweder beim Verlag erworben oder über eine Schrankenbestimmung „schmarotzt“ werden. Diese Sicht ist vollkommen naiv und für die Verlage sogar gefährlich.

Der Drei-Stufen-Test geht auf die Revidierte Berner Übereinkunft von 1967 (!) zurück. Er ist eine rechtliche Vorgabe, die Rechtsfolgen jedoch an empirische Sachverhalte knüpft. Aus der Perspektive der Vor-Internet-Zeit waren für wissenschaftliches Arbeiten relevante Inhalte tatsächlich nahezu ausschließlich Verlagsinhalte. Vor dem Hintergrund ihrer alternativlosen Nutzung war eine binäre Argumentation (Schranke oder Verlangsangebot), wie sie jetzt wieder vorgebracht wird, lange Zeit absolut schlüssig.

Wenn aber nach über 20 Jahren Internet immer noch so argumentiert wird, sollte man misstrauisch werden. Der Drei-Stufen-Test besagt nur, dass eine Schranke die normale Nutzung nicht beeinträchtigen darf. Das bedeutet jedoch nicht, dass damit nur eine liberale Schrankenregelung problematisch wird.

Auch eine abschreckend streng formulierte Schranke kann zu einer Beeinträchtigung der normalen Nutzung führen, vor allem dann, wenn für die digital arbeitende Forschung und Lehre verstärkt freie Netz-Ressourcen eingesetzt werden können. Dann werden nicht nur keine Geschäfte mit digitalen Verlagsangeboten gemacht, auch die gedruckten Bücher der Verlage werden keine Käufer mehr finden, weil sie einfach nicht mehr relevant sind.

Und dort, wo es keine Netzangebote als Alternative zu bestimmten Verlagsinhalten gibt, werden Lehrende meist bei den regelmäßig an den Hochschulen vorhandenen großen eBook-Paketen der internationalen Konzernverlage fündig. Der mittelständische deutsche Wissenschaftsverlag kommt dann einfach nicht mehr vor. Ist das gewollt?

Wendet man den Drei-Stufen-Test also nicht ideologisch, sondern medienwissenschaftlich aufgeklärt an, so darf man angesichts der freien Alternativen im Netz und der mächtigen digitalen Angebote der Großverlage um des Überlebens der kleinen und mittleren Verlage willen einen Vorrang von Verlagsangeboten gerade NICHT ins Gesetz schreiben. Der Effekt wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade die erhebliche Beeinträchtigung der normalen Verwertung, die man doch verhindern wollte.

Die Bundesregierung hat im Entwurf des UrhWissG in dieser Frage einen sehr vernünftigen Ausgleich gefunden. Es sollen alle (!) Werke leicht (!) digital nutzbar sein, womit man gerade den Lehrbüchern einen Absatzmarkt bei den Studierenden erhält. Für häufig genutzte Literatur wird eine Hochschule ohnehin immer mit den Verlagen Lizenzen aushandeln, die ganze Werke dauerhaft sichtbar machen.

Ja sind denn die Verlage doof, wenn sie einen Verlagsvorrang fordern? So könnte man jetzt fragen.

Die Anwort ist recht simpel: Das Internet als Distributionskanal stellt das gewohnte Geschäftsmodell der Verlage massiv in Frage. Zugleich setzen neue mediale Formate (Lernvideos und dergleichen) das klassische Buchformat unter Druck. So gesehen suchen gerade die kleinen Verlage hektisch nach dem dicken roten Knopf, um das Internet abzuschalten. Da es diesen Knopf nicht gibt, suchen sie ihr Heil darin, sich im Urheberrecht eine exklusive Position zu sichern.

Verlage können natürlich einfordern, dass ihre Angebote Vorrang haben. Verlage können auch verlangen, dass die Schrankennutzung einzelfallbezogen vergütet wird. Der Gesetzgeber könnte beides zwingend vorschreiben. Genau dafür wird gerade massiv Lobby-Arbeit gemacht. Das Dumme ist nur: Der Gesetzgeber kann nicht gewährleisten, dass Verlagsinhalte in Lehre und Forschung auch weiterhin genutzt werden. Die binären Zeiten sind unwiederbringlich vorbei.

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