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Fundstück: Btx und Politik

Von 1983 bis 2001 gab Bildschirmtext (Btx). Als Vorform des Internet ist Btx hochinteressant, wird aber bislang kaum beforscht. Dabei können gerade die Visionen und Vorstellungen, die mit der damals noch neuen Technologie verbunden wurden, für die Art und Weise, wie das Internet konzeptionell verstanden wird, äußerst fruchtbar sein. Nicht selten wird man feststellen, dass Konzepte der 80er Jahre, die im Zusammenhang mit Btx entwickelt worden sind, erst mit dem Internet technisch und sozial Wirklichkeit werden konnten.

Aktuell werden gerade die Sozialen Medien als Erscheinungsform des Web 2.0 in ihren Auswirkungen auf die Politik, die Demokratie und die öffentliche Meinung kritisch diskutiert. Alternative Fakten und Fake News mögen als Stichworte genügen.
Dabei ist das Problem alles andere als neu. Bereits im Kontext von Btx wurden die Auswirkungen vernetzter Online-Medien auf demokratische Prozessse thematisiert. Im Unterschied zu den heute vorgeschlagenen Änderungs- oder Löschpflichten fraglicher Inhalte war der Ansatz früher erheblich radikaler.
Die Rede ist von Art. 11 Abs. 1 des Staatsvertrages über Bildschirmtetxt (Bildschirmtext-Staatsvertrag) vom 18. März 1983. Er lautet:
„Meinungsumfragen mittels Bildschirmtet über Angelegenheiten die in des gesetzgebenden Organen des Bundes, der Länder, in den entsprechenden Organen der Gemeinden, der sonstigen kommunalen Gebieskörperschaften, in den Bezirksverordnetenversammlungen oder Bezirksversammlungen behandelt werden, sind unzulässig. Die Ergebnisse von Meinungsumfragen mittels Bildschirmtext bei den einzelnen Teilnehmern über deren Wahl- oder Stimmverhalten, die sechs Wochen vor der Wahl oder Abstimmung nicht veröffentlicht sind, dürfen vor der Wahl oder Abstimmung nicht bekanntgemacht werden.“
Aufschlussreich ist die Begründung zu diesem Artikel:
„Art. 11 enthält Sonderbestimmungen für Meinungsumfragen mittels Bildschirmtext, da diese mit diesem Medium einerseits leicht und schnell durchgeführt werden können, andererseits aber besonders fehleranfällig sein können. Sie unterscheiden sich insofern besonders grundlegend von den bisher allgemein üblichen repräsentativen Meinungsumfragen durch Meinungsforschungsinstitute. Abs. 1 soll dabei den aus einer schrankenlosen Durchführung solcher Meinungsumfragen durch jedermann folgenden Gefahren für die repräsentative Demokratie mit der Entscheidungsfreiheit insbesondere der parlamentarischen Organe sowie der Gefahr der Manipulation von Wahlen Rechnung tragen.“
Ein Verstoß gegen das Umfrageverbot konnte nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 6 des Btx-Staatsvertrages als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

(Quelle: Hessischer Landtag, Drucksache 10/642 vom 24. März 1983)

BTx war übrigens nie ein Massenmedium. Erst mit der Kopplug von Btx und Internet im Jahre 1995 wurde mehr als 1 Millionen Teilnehmer gezählt (vgl. Wikipedia). Gleichwohl ist die Problembeschreiung des Staatsvertrages bemerkenswert und steht beispielhaft für viele Fragestellungen, die im Zusammenhang mit Btx aufgeworfen, aber erst 30 Jahre später im Internet Realität geworden sind.
Man darf hoffen, dass ein so genanntes nutzerorientiertes Bestandsmanagement in den wissenschaftlichen Bibliotheken die alte Btx-Literatur nicht schon als entbehrlich ausgesondert hat. Sachverhalte wie der hier vorgestellte zeigen, dass der „Dornröschen-Schlaf“ dieser Inhalte bald um ist und die Nachfrage gerade aus der medienwissenschaftlichen Forschung steigen könnte. Auch veraltete Technikliteratur hat durchaus eine Zukunft. 

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