Mit einem kräftigen Fanfarenstoß ist ein neues Rechercheinstrument mit großem Potential anzuzeigen: das Deutsche Zeitungsportal. Es erlaubt einen einheitlichen kostenlosen Einstieg in digitalisierte historische Zeitungen. Langfristig sollen hier alle Zeitungen sichtbar werden, die in deutschen Bibliotheken und Archiven aufbewahrt werden. Die bislang älteste Zeitung des Portals stammt aus dem Jahr 1671; die Laufzeit der meisten neueren Zeitungen endet – vor allem aus urheberrechtlichen Gründen – etwa 1945.
Mit einem Mal lassen sich historische Sachverhalte ermitteln, die früher entweder gar nicht – weil das Blättern in Zeitungen der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen glich – oder in dieser Breite nicht möglich war. Kein Mensch konnte Hunderte von Zeitungen im Original auf eine Fragestellung auswerten, allein schon wegen des fragilen Erhaltungszustands der meisten Blätter. Langfristig wird sich das historische Arbeiten und Forschen durch dieses und andere Zeitungsportale verändern, weil eine viel größere Fülle an Information bequem auszuschöpfen ist. Lokale Aspekte werden in viel größerem Umfang in die Untersuchungen einfließen können als das bisher möglich war. Reichweite und Tiefe der Erhebungen nehmen zu, abgesehen von den Möglichkeiten, die die Digital Humanties sonst noch bieten.
Der Vorteil des Deutschen Zeitungsportals besteht darin, dass unter einer einheitlichen Oberfläche eine Vielzahl von Zeitungsausgaben durchsucht werden kann. Die Ergebnisse werden immer im gleichen Format angezeigt. Downloads von einzelnen Seiten oder Ausgaben sind möglich. Die Zeitungsseiten (aber noch nicht die einzelnen Zeitungsartikel) sind persistent verlinkt.
Gestartet ist das Zeitungsportal als Teil der Deutschen Digitalen Bibliothek im Oktober 2021 mit 247 Zeitungen und 4,5 Mio. Zeitungsseiten aus neun Bibliotheken. Laufend werden neue Zeitungen digitalisiert und hinzugefügt. Damit ist bereits jetzt eine kritische Masse erreicht. Über eine Volltextsuche kann auf Zeitungsinhalte zugegriffen werden. Oder es können Zeitungen über Titel, Erscheinungsort oder Erscheinungsdatum ausgewählt werden, in denen dann speziell gesucht werden kann. Angezeigt wird der Originaltext als Faksimile und in einem Extrafenster das Ergebnis der OCR-Texterkennung.
Ich habe zwei Test-Recherchen gemacht: einmal wollte ich einige Fakten über die 1920 gegründeten „Einkaufsgesellschaft Löwen“ ermitteln (1), zum anderen über Thomas Manns Aufenthalt in Königsberg/Pr. zwischen 1929 und 1932 (2).
Das Ergebnis der 1. Recherche war fantastisch. Es erbrachte u.a. den Hinweis auf einen sehr informativen Artikel von Alfred Lehmann im Hannoverscher Kurier – Hannoversches Tageblatt vom 9.1.1923.1 Dieser Artikel wurde seit seinem Erscheinen noch in keiner Sekundärliteratur zitiert. Beim Entwicklungsstand der OCR-Software muss man allerdings Glück haben, dass das gesuchte Stichwort wie im Fall „Einkaufsgesellschaft“ korrekt transkribiert wird und zudem so spezifisch ist, dass man nicht Tausende von Treffern erhält. Hätte man nach dem Terminus „Universitätsbibliothek Löwen“ gesucht, wäre man erfolglos geblieben, weil die Software aus der Frakturschrift „AuiversitSlsblbliothek Löwen“ gemacht hat, zumindest in dem Artikel von Lehmann.
Die gleiche Suchanfrage in drei anderen Portalen, die, ähnlich wie das Deutsche Zeitungsportal, digitalisierte historische Zeitungen bündeln, erbrachte keine Ergebnisse (ZEFYS der Staatsbibliothek zu Berlin, Anno der Österreichischen Nationalbibliothek) bzw. fast keine Ergebnisse (Digipress der Bayerischen Staatsbibliothek). Das liegt nicht an technischen Gegebenheiten, sondern am Berichtsschwerpunkt der digitalisierten Zeitungen.
Das Ergebnis der 2. Recherche war überall enttäuschend. Die Suchmöglichkeiten beschränken sich natürlich auf die Stichwörter im Text. Diese lassen sich aber noch nicht mit Booleschen Operatoren verknüpfen, so dass eine Suche nach „Thomas Mann“ zu einer unübersehbaren Masse an Treffern führt, weil auf jeder Zeitungsseite entweder ein „Thomas“ oder ein „Mann“ vorkommt. Die Suchmöglichkeiten des Deutschen Zeitungsportals sollen aber planmäßig weiter entwickelt werden. Vielleicht kann bei der OCR-Erkennung Künstliche Intelligenz eine Hilfe sein? Es besteht Hoffnung, irgendwann auch „Thomas Mann“ in den Zeitungen präzise aufspüren zu können.
Der Weg zu dieser Plattform war lang und steinig. Zu den ersten Pioniertaten gehörten die Gründung des Instituts für Deutsche Presseforschung der Universität Bremen 1957 mit dem Mikrofilmarchiv deutschsprachiger Zeitungen und Zeitschriften des 17. und 18. Jahrhunderts. 1965 folgte die Einrichtung des Mikrofilmarchivs der deutschsprachigen Presse e. V. in Dortmund mit seinen Serviceleistungen. Beide haben das Bewusstsein für den Wert historischer Zeitschriften entscheidend gestärkt.
Die zweite Pioniertat war Gert Hagelweides Zeitungsverzeichnis von 1974, das die Zeitungsbestände an fast 600 Standorten auflistete.
Die dritte Pioniertat war die allmähliche Anreicherung der Zeitschriftendatenbank (ZDB) mit den unendlich komplexen Standort- und Titeländerungsnachweisen. Die ZDB ist und bleibt für das Auffinden bestimmter Zeitungstitel das unverzichtbare Instrument.
Die vierte Pioniertat waren Vorprojekte wie das Portal der DDR-Presse der Staatsbibliothek zu Berlin und das DFG-Pilotprojekt für das Deutsche Zeitungsportal unter Federführung der SLUB Dresden mit Beteiligung mehrerer Bibliotheken.2
Für die Realisierung des Deutschen Zeitungsportals sind gegenwärtig vier Bibliotheken gemeinsam aktiv:
- Deutsche Nationalbibliothek/Deutsche Digitale Bibliothek (Federführung)
- FIZ Karlsruhe – Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur
- Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
- Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Im Grundgesetz Artikel 5, Abs. 1 wird die Informations- und Pressfreiheit garantiert:
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Der kraftvolle Ausbau gerade dieses Portals täte gut in einer Zeit, in der wir im Zeitungsland Deutschland den 75. Geburtstag des Grundgesetzes feiern und um seine künftige Wertschätzung nicht ohne Sorge sind.
- „Der Wiederaufbau der Universitätsbliothek Löwen. Was Deutschland bisher geleistet hat.“ In: Hannoverscher Kurier – Hannoversches Tageblatt ; Morgenzeitung für Niedersachsen
- Vgl. Thomas Bürger: Zeitungsdigitalisierung als Herausforderung und Chance für Wissenschaft und Kultur. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 63 (2016) H. 3. S. 123–132