“Pestfurz und Skorpionbomben – die Geschichte der Ekel-Kriegsführung
Die Müllballons für den Nachbarn Südkorea sind nur das jüngste Beispiel widerlicher Kriegstechniken. Immer wieder ersannen Belagerer und Belagerte kreative Abscheulichkeiten, um Feinde abzuschrecken und zu töten.”
Von Katja Iken (SPIEGEL-Mitarbeiterin seit 2007) und Frank Thadeusz (Redakteur).
Der grundlegende Aufsatz von Mark Feuerle 2011 (Auszug GBS) wird nicht genannt, obwohl die Suche nach einem Quellenzitat
https://www.google.com/searchq=”zu+demselben+bin+ich+erdocht”
den Verdacht nahelegt, dass eine Journalistin kaum eine andere Quelle als die Arbeit Feuerles haben konnte.
Autorin Iken hatte es schon im Jahr 2000 in einem Paywall-Artikel des SPIEGEL über Kriegsführung mit Pestopfern angeführt.
Aus Feuerle stammen noch weitere Übernahmen:
Feuerle S. 81 zur Rheinauer Waffenhandschrift
Feuerle S. 84 Belagerung von Karlstein 1420 “um die Eingeschlossenen in die Knie zu zwingen” – SPIEGEL 2024: “um die Eingeschlossenen in die Knie zu zwingen”.
Schaut man sich den Beitrag von Iken/Thadeusz genauer an, häufen sich die Merkwürdigkeiten.
“Tonkrüge mit giftigen Kriechtieren
Genau dies taten die Bewohner der Wüstenfestung Hatra im heutigen Irak am Ende des zweiten Jahrhunderts, als sie von den Truppen des römischen Kaisers Septimius Severus belagert wurden. Das Volk von König Barsamias füllte Tonkrüge mit den giftigen Kriechtieren und warf sie über die Stadtmauer hinweg auf die römischen Invasoren.”
Ein König Barsamias ist nicht zu finden. Die Skorpionkrüge werden unter anderem erwähnt in:
https://www.penn.museum/sites/expedition/biowar-in-ancient-times-a-discussion-with-adrienne-mayor/
https://books.google.de/books?id=cwpUEAAAQBAJ&pg=PA192 (Adrienne Mayor: Greek Fire, Poison Arrows, and Scorpion Bombs, 2022)
in diesem Buch (für Nutzer der GWLB Hannover zugänglich) heißt der König Barsamia. Kapitel 6 beschäftigt sich auch mit dem Einsatz von Bienen im Krieg. Zu den Quellen für Hatra sagt Anm. 16: “Te defense of Hatra: Herodian 3.9.3–8 and commentary by C. Whittaker. Te Hatra debacle is also described by Cassius Dio 68.31–75.10.31.2, Epitome 75.10–13 and 76.1012”.
Dass Giselbert von Lothringen, der Bienenkörbe einsetzt, im SPIEGEL Geiselbert heißt, zeigt, dass ältere Quellen herangezogen wurden:
https://www.google.com/search?q=Geiselbert+von+Lothringen+bienenk%C3%B6rbe&tbm=bks
Den Wurf der Pestleichen bei Kaffa 1346 findet man nicht nur in dem älteren Artikel von 2020:
Um des Effekts willen nimmt man den Bericht 2024 für bare Münze. 2020 hat man mit einem skeptischen Zitat den Artikel beschlossen: “Ditrich schlussfolgert: De Mussis’ berühmte, immer wieder zitierte Schilderung der fliegenden Pestleichen von Kaffa ist wohl nichts anderes als wundervolles Seemannsgarn.”
Die ausführlichen Zitate 2020 stammen aus der Übersetzung von Klaus Bergdolt, die natürlich urheberrechtlich geschützt ist. Auf das Zitatrecht § 51 UrhG kann sich der SPIEGEL nur dann berufen, wenn Autor und Fundstelle genannt werden. Es liegt also eindeutig eine Urheberrechtsverletzung vor.
“Bei der Schlacht um Reval (heute Tallinn) im Jahre 1710 beschossen die Angreifer der russischen Armee die Einwohner der estnischen Stadt ebenfalls mit Pestleichen. Deren Exkremente galten einst als besonders wirksame Zutat vermeintlich todbringender Stinkbomben. Die Menschen des Mittelalters wussten noch nichts von mikroskopisch kleinen Erregern; sie hielten den Gestank für die eigentliche Ursache des Verderbens.”
Seit wann ist 1710 Mittelalter? Eventuell stammt die Angabe zu Reval aus dem “Standard” von 2002:
https://www.google.com/search?q=reval+”pestleichen”+1710
Hinsichtlich der abschließend erwähnten Brandkatze ist immerhin eine einigermaßen brauchbare Quelle verlinkt, die die englische Übersetzung eines deutschen Quellentextes von Franz Helm enthält:
https://time.com/14212/rocket-cats-rocket-cats/
Abschließende Bemerkung zum Umgang der Journaille mit Quellen
Dem hier exemplarisch untersuchten sensationshaschenden Artikel zu einem historischen Thema könnten abertausende aus dem gleichen Organ oder anderen sogenannten “Qualitätsmedien” zur Seite gestellt werden. Ihnen ist gemeinsam, dass sie auf Quellenangaben verzichten, selbst wenn diese aus urheberrechtlichen Gründen zwingend geboten wären. Dass es sich nicht um wissenschaftliche Arbeiten handelt, ändert nichts an der Verwerflichkeit solcher populären Geschichtsvermittlung, die gegen das Gebot der Nachprüfbarkeit (Grundlage der im Kontext von FAKE NEWS so wichtigen “Faktenchecks”) verstößt. Ohne weiteres könnten die Online-Medien die benutzten Quellen verlinken: Volltexte, Verlagsseiten oder – wenn es sich um nur gedruckt vorliegende Literatur handelt – Bibliothekskataloge. Aber das will man gar nicht, weil es a) zusätzliche Arbeit macht und b) an der eigenen Glaubwürdigkeit rüttelt, denn allzu oft würde Nachprüfbarkeit dazu führen, dass Leserin oder Leser ernüchtert feststellen, dass die Autor*innen auch nur mit Wasser kochen oder schlampig recherchieren.