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Bibliothekarische Stimmen. Independent, täglich.

13. März 2017
von Eric W. Steinhauer
Kommentare deaktiviert für Ein Erklärbär zu publikationsfreiheit.de

Ein Erklärbär zu publikationsfreiheit.de

Post vom Verlag

Wer, gerade in den Geisteswissenschaft, wird gegen gedruckte Bücher oder die kleinen und mittelständischen deutschen Wissenschaftsverlage sein? Niemand. Und wenn man Post von einem solchen Verlag bekommt, dem man als langjähriger Autor vielleicht noch verbunden ist, wird man diese Post genau lesen und ernst nehmen.


#Book


Die Existenz des Verlages, ja der ganzen wissenschaftlichen Verlagslandschaft in Deutschland sei bedroht, heißt es da. Auch das wissenschaftliche Lehrbuch werde künftig nicht mehr existieren. Besonders gefährlich sei eine gerade geplante Reform des Urheberrechts. Eine verwerfliche Gratis-Mentalität dieser Reform wird aufgezeigt: 25% eines Buches sollen künftig ohne jede Vergütung digital genutzt werden. Das sei auch ein massiver Eingriff in die Autorenrechte.

Entrüstung macht sich breit. Abhilfe freilich wird sofort angeboten. Man müsse nur auf der Seite publikationsfreiheit.de seine Solidarität kundtun. Das sei ein wichtiges Signal an die Politik. Dann könne das Schlimmste verhindert werden.

Angesichts der aufgezeigten Lage lässt ein redlicher Wissenschaftler sich nicht zweimal bitten und wird auf publikationsfreiheit.de unterschreiben oder seinen Verlag bitten, das für ihn zu tun.

#Beef

"Kessel buntes"

Tatsächlich scheint dies alles ein ganz normaler Vorgang zu sein. Auch die Seite publikationsfreiheit.de selbst ist aufgeräumt und informativ. Zu dem suggestiven Namen gesellt sich noch der Einsatz für Deutschland als Bildungsrepublik. Wichtige Werte und Grundrechte werden beschworen. Es müsse weiterhin möglich sein, Bücher zu publizieren. Es dürfe kein Zwang zu einer bloß digitalen und frei zugänglichen Internetpublikation (Open Access) geben. Die kleinen und mittelständischen Wissenschaftsverlage in Deutschland sollen sich auch weiterhin neben aggressiven internationalen Großverlagen behaupten dürfen. Und schließlich müsse die unselige und für die Verlage brandgefährliche Urheberrechtsreform verhindert werden.

Dem Unterzeichner wird so eine merkwürdige Mischung angeboten. Wer etwas gegen einen Zwang zu Open Access ist und überdies internationale Konzernverlage und deren Geschäftspraktiken kritisch sieht, muss sich auch gleichermaßen gegen die geplante Urheberrechtsnovelle aussprechen, die weder Open Access noch das Wettbewerbsrecht der Wissenschaftsverlage zum Thema hat. Es geht nur "alles oder nichts".

Angesichts dieser "interessanten" Mischung von Themen solle man einmal genauer hinsehen, was man da eigentlich unterschreibt. Aber wer hat Zeit und Muße, sich die rund 60 Seiten des Gesetzentwurfes, die manche Verlage ihrer Autorenmail noch beigefügt haben, durchzulesen? Vielmehr vertraut man auf die Angaben der Verlage und zeichnet. Damit ist alles erledigt, und der normale Lehr- und Forschungsalltag geht weiter.

Viel Spaß mit Urheberrecht an der Hochschule

Hier nun ist man, soweit man digitale Lehr- und Lernplattformen einsetzt, ständig mit urheberrechtlichen Problemen konfrontiert. Technisch leicht bereitzustellende Scans aus Büchern, die man gerne in die Lehre einbinden möchte, sind nicht ohne Weiteres möglich. Zum Jahresende drohte gerade die Abschaltung der elektronischen Semesterapparate. Mit einem Wort: Man ist einfach nur genervt.


In der Praxis wird man, um der berechtigten studentischen Nachfrage nach digitalen Inhalten nachzukommen, von der eigenen Hochschule bereits lizenziertes Material aus den großen Ebook-Paketen und Datenbanken der Konzernverlage nutzen, auf freie Internetquellen verweisen oder selbst Materialen erstellen und digital verteilen.

Auf andere Bücher und Literatur, die man gerne einsetzen möchte, wird man vielleicht noch empfehlend verweisen, wohl wissend, dass nur eine Minderheit der Studierenden in der Bibliothek auch tatsächlich einen Blick ins Buch werfen wird, von einer eigenen Anschaffung ganz zu schweigen. Es wäre schön, so denkt man, wenn das Urheberrecht auch so einfach wäre wie die Nutzung von digitalen Lernplattformen.

Bloß keine Reform!

Während man das so denkt, finden in Berlin und anderswo verschiedene Gespräche zum geplanten neunen Urheberrecht statt. Erstaunten Politikern werden beeindruckende Zahlen und prominente Namen präsentiert, die auf publikationsfreiheit.de zu finden sind und die sich dort auch gegen die geplante Urheberrechtsreform ausgesprochen haben. Man selbst war ja auch dabei. Aber wogegen war man? Gegen eine Enteignung der Autoren und dagegen, dass das neue Recht die Existenz gerade der kleinen und mittleren Verlage vernichtet.

Der Witz ist nur: Nichts davon ist wahr.

Gucken wir uns die Sache einmal genauer an. Obwohl im Gesetzentwurf eine Vielzahl von Regelungen enthalten ist, etwa zum Sammeln und Archivieren von Internetseiten durch die Deutsche Nationalbibliothek, damit wir künftig überhaupt noch ein funktionierendes kulturelles Gedächtnis haben, wenden sich die Verlage im Kern gegen eine einzige Vorschrift, nämlich die Erlaubnis, in passwortgeschützten elektronischen Semesterapparaten für die Dauer eines Semesters  25% von Buchinhalten nutzen zu dürfen.

Zurück zur Rechtslage von 2003!


Diese Nutzung ist, entgegen anderslautender Behauptungen der Verlage, im jedem Fall angemessen zu vergüten. So, und nicht anders steht es im Gesetzentwurf. Diese Regelung ersetzt den heutigen § 52a UrhG, der im Kern nichts anderes aussagt als das, was nun in klarerer und verständlicher Formulierung geregelt werden soll. § 52a ist bereits 2003 in Kraft getreten und wurde bis circa 2013 im Wesentlichen so genutzt, wie dies auch nach der neuen Gesetzeslage wieder möglich sein soll. Wir erinnern uns alle ein ein massives Verlagssterben in dieser Zeit?! Ja? Nicht?? Hm ...

Nach 2013 und 2014 haben zwei Entscheidungen des BGH ("Gesamtvertrag Hochschul-Intranet" und "Meilensteine der Psychologie") den praktischen Anwendungsbereich der Norm ganz im Sinne der jetzt wieder lautstark erhobenen Verlagsforderungen modifiziert. Zwei Aspekte sind hier wesentlich: Die Vergütung soll einzelfall- und nutzungsbezogen erfolgen (Einzelabrechnung), und: Bieten Verlage selbst zu angemessenen Bedingungen Lizenzen für die Nutzung ihrer Inhalte im Semesterapparat an, so müssen die Lizenzen erworben werden (Verlagsvorrang).

Die Folge dieser Entwicklung war, dass die Nutzung der elektronischen Semesterapparat in der Praxis massiv zurückgegangen ist. Ein Rahmenvertrag mit der VG Wort zur Regelung der Einzelerfassung und Einzelabrechnung der Nutzung wurde im letzten Jahr mit Blick auf den unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand (man muss ja auch noch in JEDEM Fall und in JEDEM Semester erneut nach angemessenen Verlagsangeboten suchen) von den Hochschulen in Deutschland flächendeckend abgelehnt.

Der vorliegende Gesetzentwurf reagiert auf diese Situation und stellt die Rechtslage von 2003 wieder her - mit zwei wichtigen Unterschieden: Er enthält mit der 25%-Regel eine starre Nutzungsgrenze, womit unsichere und mit Prozessrisiken belastete Einzelfallabwägungen vermieden werden, und schließt eine Einzelabrechnung aus, die, bevor sie richtig etabliert werden konnte, in der Praxis ja gescheitert ist.

Um es auf den Punkt zu bringen: Mit der Behauptung, das deutsche Wissenschaftsverlagswesen wird untergehen, bekämpft man eine Bestimmung, die seit 2003 rund zehn Jahre bereits gelebte Praxis war.

Die Hauptkritikpunkte

Kommen wir nun auf die vier Hauptkritikpunkte der Verlage

1. Die Nutzung von 25% ist zuviel!

2. Wenn Verlage Lizenzen anbieten, dann müssen sie Vorrang vor einer gesetzlichen Erlaubnis haben.

3. Lehrbücher müssen von der neuen Regelung ausgenommen werden, sonst hat diese Literaturform keine Zukunft mehr.

4 Wenn auf Grundlage der gesetzlichen Erlaubnis genutzt wird, ist die angemessene Vergütung im Wege der Einzelabrechnung zu leisten.


Die 25%-Regel

Über die 25% kann man sicher reden. In der Praxis würden es wohl auch 15% tun, jedenfalls für solche Bücher, die noch lieferbar sind. Soweit ein Werk aber vergriffen ist, könne man im passwortgeschützen Semesterapparat aber auch noch weit über die 25% hinausgehen. So gesehen, wäre hier noch Raum für eine differenziertere und gleichwohl praxistaugliche Lösung: 15% gingen immer. Wer mehr will, der muss eben recherchieren oder beim Verlag eine Lizenz erwerben.

Vorrang von Verlagsangeboten

Sollte eine Verlagslizenz aber immer Vorrang haben? Hier stellen sich gleich mehrere Probleme. Man muss zunächst ermitteln, ob es überhaupt ein Lizenzangebot gibt. Sodann muss man entscheiden, ob das Lizenzangebot auch angemessen ist. Man kann sich leicht vorstellen, wie das in Praxis der Hochschullehre aussehen wird. Die wahrscheinliche Konsequenz, die ein verpflichtender Verlagsvorrang haben wird, ist, dass man entweder an der Hochschule schon vorhandene Lizenzen nutzt, freie Netzinhalte einbindet oder, um mit dem ganzen Urheberrechtskram nicht mehr zu tun zu haben (Ja, liebe Verlage, SO denkt mittlerweile die Praxis!!), das vorlesungsbegleitende Material gleich selbst erstellt. Letztes bringt zudem gute Evaluationen. Natürlich kann man auch auf Lehrbücher und dergleichen verweisen. Aber werden Studierende diesen Hinweisen nachgehen und die Bücher nutzen. Diese Frage beantwortet sich für den Praktiker wohl von selbst ...

Ausnahme für Lehrbücher?

Damit wäre eigentlich auch die Frage beantwortet, ob man Lehrbücher von der Nutzung im elektronischen Semesterapparat ausnehmen soll. Klar, kann man machen. Aber dann werden diese Werke für das studentische Publikum noch unsichtbarer, als sie es ohnehin schon sind. Dass Lehrbücher wirtschaftlich unter Druck geraten sind, ist sicher richtig.

Dass dies aber daran liegt, dass sie ausschnittsweise in elektronischen Semesterapparaten genutzt werden, ist eine steile These ohne empirische Belege. Plausibler ist da etwas ganz anderes: Die durch die Bologna-Reform teilweise hoch spezialisierten Studiengänge kombinieren ihre Themen und Fragestellungen nicht mehr nach dem fachlichen Fokus eines von Kiel bis Passau gleichermaßen nutzbaren Lehrbuches. Dass Studierende in diesem Kontext auf Lehrbücher immer öfter meinen verzichten zu können, liegt auf der Hand. Und wenn sie gleichwohl den Erwerb eines Lehrbuches in Erwägung ziehen, schmälert ein über das Internet sehr effektiv oragnisierter Gebrauchtbuchmarkt den Absatz verlagsneuer Bücher.

Dadurch, dass man Lehrbücher von der Nutzung im elektronischen Semesterapparat ausnimmt, löst man von den genannten Problemen exakt KEINES.

Einzelabrechnung

Kommen wir zur Forderung einer einzelfallebezogenen Vergütung für die Nutzung im Semesterapparat. Diese Ansatz wurde 2013 vom BGH ins Spiel gebracht, mit dem Vorbehalt freilich, dass diese Form der Abrechnung auch praktisch umsetzbar sein muss. Das Scheitern eines entsprechenden Rahmenvertrages mit der VG Wort zum Jahresende hat diese Abrechungsweise im Grund schon beerdigt. Bedenken solle man auch, dass jede Form von Bürokratie bei der Nutzung des elektronischen Semesterapparates zu einem Rückgang von Nutzungen und damit am Ende auch der zu zahlenden Vergütung führen wird. Alle bekannten Zahlen und Stichproben deuten darauf hin, dass eine im Einzelfallverfahren erhobene Vergütung DEUTLICH hinter den bisher gezahlten pauschalen Sätzen zurückbleiben wird.

Die großen Fragen


Soweit zu den Details. Am Ende wollen wir aber noch einmal zu den großen Linien zurückkehren und fragen:

1. Was versprechen sich die Verlage eigentlich von einer Kampagne wie publikationsfreiheit.de?

2. Wie steht es um die Rechte der Autorinnen und Autoren, wie um ihre Publikationsfreiheit, wenn die Reform wie geplant umgesetzt wird?

Ist die geplante Urheberrechtsreform verlagsfeindlich?


Die kleinen und mittleren deutschen Wissenschaftsverlagen, die überwiegend Bücher herausbringen, sehen sich großen Herausforderungen gegenüber. Die Absätze sind rückläufig. Es ist verständlich, wenn man in jeder nur denkbaren Form an den Nutzungen der eigenen Verlagsprodukte partizipieren will, um Umsatzeinbußen zu kompensieren. Die Frage ist nur, ob eine Verschärfung des Urheberechts hier den gewünschten Effekt bringt.

Ich glaube, dass die Verlage hier einer gefährlichen Täuschung unterliegen. Sie glauben, dass die für Forschung, Lehre und Wissenschaft relevanten Inahlte verlegerische Inhalte sind. Für sie stellt sich die Lage, vereinfacht gesprochen, so dar: Entweder man bezahlt beim Verlag für die dort vertriebenen Inhalte oder man "schnorrt" eben diese Inhalte über unangemessen liberale Regelung im Urheberrechtsgesetz.

Ausgehend von dieser "binären Betrachtung" ist es folgerichtig, dass bei einem Zurückfahren der Ausnahmen im Urheberrecht die direkten Umsätze der Verlage steigen werden.

So einfach das ist, so falsch ist es auch. Übersehen wird nämlich, dass es drei sehr mächtige Alternativen zum Verlagsangebot gibt.

Da sind zum einen die an nahezu allen Hochschulen vorhandenen großen eBook-Pakete internationaler Konzernverlage. Gerade für das Bachelor-Studium wird sich da schon geeignete Literatur finden, die eine weitere Lizenzierung beim deutschen Mittelstandsverlag entbehrlich macht.

Besonders attraktiv sind zudem auch die mittlerweile in sehr ordentlicher Qualtitä verfügbaren freien Angebote im Internet. Nein, nicht darüber lächeln. Das hat der Brockhaus, als Wikipedia aufkam, auch schon gemacht. Die Folgen sind bekannt. Bekannt ist auch, dass Studierende mit ihren mobilen Endgeräten ihre Informationsbedürfnisse ohnehin im freien Internet zu befriedigen gewohnt sind. Was daraus für die Hochschullehre folgt, liegt auf der Hand.

Schließlich erlauben die digitalen Möglichkeiten den Lehrenden selbst, eigene Materialien zu erstellen und in der Lehre einzusetzen. Dass diese Materialien überdies auch frei im Netz angeboten werden können, wo sie zudem die Bekanntheit und das Renommee des Lehrenden deutlich und nicht unbedingt weniger als eine klassische Verlagspublikation zu befördern vermögen, sei nur am Rande erwähnt.

Aus dem Gesagten jedenfalls ergibt sich eindeutig, dass die einfache binäre Welt der Verleger so nicht existiert. Im Grunde suchen die Verlage nach dem dicken roten Button, um das Internet abzuschalten. Dann wäre alles gut.



Aber diesen Button gibt es nicht. Und im Urheberrecht ist er ohnehin nicht zu finden. Von daher macht die immer wieder zu hörenden Behauptung, die geplante Urheberrechtsform entziehe den Verlagen die wirtschaftliche Grundlage, wenig Sinn. Vielmehr wird andersherum ein Schuh daraus: Weil nämlich - gerade im Lehrbuchbereich - alternative digitale Angebote zu den Inhalten der kleinen und mittleren Wissenschaftsverlage zur Verfügung stehen, sollte es im Interesse der Verlage sein, wenn ihre Inhalte einfach und unkompliziert in digitale Lernumgebungen eingebunden werden können. Diese Lernumgebungen sind gleichsam wie Schaufenster, mit denen Studierende die traditionellen Verlagsprodukte überhaupt erst wahrnehmen, spätere Käufe nicht ausgeschlossen.

Überdies: Soweit ein Werk ständig und in großem Umfang in der Lehre eingesetzt werden soll, würde es sowieso von der zuständigen Hochschulbibliothek erworben, sei es analog, sie es digital. Die Nutzung im Semesterapparat ist ja immer nur auschnittsweise und situativ.

Beschneidung von Autorenrechten?


Verlage weisen in ihren Anschreiben darauf hin, dass durch die geplante Urheberrechtsform auch die Rechte von Autorinnen und Autoren massiv beeinträchtigt werden. Von vergütungsfreier Nutzung ist hier immer wieder die Rede. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Nutzung im elektronischen Semesterapparat muss in jedem Fall vergütet werden. Autorinnen und Autoren werden über die VG Wort entschädigt. Die Vergütung selbst wird pauschal an die zuständige Verwertungsgesellschaft gezahlt, die sie dann gemäß ihrem Verteilungsplan an die Bezugsberechtigen ausreicht.

Einzelabrechnung?

Wäre es nicht besser, so könnte man fragen, wenn die Inhalte über Verlage vermarktet werden, die dann ihrerseits auf Grundlage der mit den Autorinnen und Autoren geschlossenen Vereinbarungen die Einnahmen weiterreichen? Soweit es nicht gerade Rechtswissenschaft ist, wo regelmäßig dreistellige Honorare für einen Aufsatz gezahlt werden (sorry, liebe Germanisten ...), werden die übrigen Wissenschaftautorinnen und -autoren schon wissen, in welchem Verhältnis die jährlichen Zahlungen der VG Wort zu dem stehen, was Verlage ihnen zahlen, wenn sie überhaupt zahlen.

Gut, wird man meinen, wäre es dann nicht besser, wenn einzelfallbezogen abgerechnet wird, dann bekommen diejenigen, die mehr genutzt werden, auch entsprechend mehr Geld.

Das klingt auf den ersten Blick gut, stimmt auf den zweiten Blick aber nachdenklich. Autorinnen und Autoren werden von ihren Verlagen ja aufgefordert, für Publikationsfreiheit zu votieren. Dabei geht es nicht nur um die freie Wahl des Publikationsweges, sondern auch um inhaltliche Vielfalt.

Die in der geplanten Urheberrechtsreform gesetzlich vorgehene pauschale Vergütung kommt mit der VG Wort-Ausschüttung JEDEM Werk zugute, die einzelfallbezogene Ausschüttung, die die Verlage fordern, nur den Erfolgreichen, also den Marktförmigen. Wollen wir wirklich in der Wissenschaft ein System etablieren, die die Steigerung von Klickraten prämiert? Ich denke, es ist mehr im Sinne von Vielfalt und Publikationsfreiheit, wenn auch das Randständige, Seltene und Unangepasste honoriert wird.

Open Access Zwang?

Auch für den zweiten Aspekt von Publikationsfreiheit, nämlich die freie Wahl des Publikationsweges, ist die geplante Urheberrechtsreform günstig. Durch die anwendungsfreundliche Ausgestaltung der Regelung für die elektronischen Semesterapparate können Lehrende auch gedruckte Werke einfach und leicht in digitale Lernumgebungen integrieren. Man muss nicht zwigend digital, open access oder bei einem Konzernverlag publizieren, um in der Hochschlulehre sichtbar zu sein. Ein liberal geregelter Semesterapparat gleicht Wettbewerbs- und Sichtbarkeitsnachteile gerade von Kleinverlagen aus. Für Autorinnen und Autoren bedeutet das Freiheit. Sie können tatsächlich publizieren, wo und wie sie wollen, ohne dass damit per se eine Sichtbarkeitsdiskrimierung aufgrund des digtialen Medienwandels verbunden ist. Die geplanten Schrankenbestimmungen heben die Publikationsfreiheit von wissenschaftlichen Autorinnen und Autoren nicht auf, sondern sichern sie ab.

Es gibt schon ein paar Baustellen ....


Ist also alles in Ordnung und der Protest der Verlage vollkommen sinnfrei? Das wird man so auch  nicht sagen können. Gerade die kleinen und mittleren Verlage haben Probleme im Medienwandel. Und es gehört zur Natur demokratischer Gesetzgebungsverfahren, dass jede Seite ihre Sicht der Dinge vorträgt. Allerdings darf diese Sicht auch kritisiert werden. Vorstehend wurde dies getan. Viele Sorgen der Verlage sind, was die geplante Urheberrechtsreform betrifft, unbegründet.

Die Reform entspricht in ihrer Intention durchaus den Interessen der Verlage und ihrer Autorinnen und Autoren. Allerdings bleiben einige Diskussionspunkte, über die man im Gesetzgebungsverfahren wirklich nachdenken sollte. Sie seien beispielhaft genannt:

Wäre es nicht sinnvoll, die Nutzung im Semesterapprat auf 15% eines Werkes zu beschränken, soweit dieses Werk noch lieferbar ist? Im Gegenzug könnte man bei vergriffenen Werken großzügiger sein. Um Investitionen von Verlagen in eigene digitale Plattformen zu würdigen, könnte man auch regeln, dass Inhalte im Semesterapparat nur als graphische Datei angeboten werden dürfen. Man könnte auch darüber reden, ob jedenfalls bei noch lieferbaren Büchern die Vorlage für den Scan im Semesterapparat ein eigenes Werkstück sein muss. Die Idee wäre hier: Ich nutze "mein Buch" in der Lehre, nur halt auf digitalem Weg, aber ich "schnorre" mir die Inhalte nicht irgendwo zusammen.  Alles das wären Punkte, die Verlagen und dem Buchabsatz entgegenkämen, ohne die Leichtigkeit der Nutzung im Semesterapparat aufzuheben, die wesentlich ist für den Erfolg der Reform und damit am Ende auch für die Sicherung der Existenz kleiner und mittlerer Wissenschaftsverlage und der wissenschaftlichen Monographie.

Geregelt werden muss auch die Frage, unter welchen Bedingungen Verlage an der angemessenen Vergütung für die Nutzung im Semesterapparat zu beteiligen sind. Das ist aber KEINE Frage der anstehenden Urheberrechtsreform, die nur regel, DASS vergütet werden muss, sondern des Rechts der Verwertungsgesellschaften, das regelt, WIE die Vergütung verteilt wird. Denkbar wäre hier, etwa die Buchverleger an den Vergütungen zu beteiligen. Dies könnte durch die Einführung eines entsprechenden Leistungsschutzrechtes erfolgen, dass geraden solchen Verlagen zugute kommen sollte, die durch Satz und Lektorat aus dem Manuskript eines Autors erst ein Buch machen. Eine solche Bevorzugung gerade der Buchverleger wäre angesichts des Medienwandeln kulturpolitisch durchaus plausibel. Dadurch freilich, dass man gegen die geplante Urheberrechtsreform ist und für den verquasten Status quo votiert, wird sich hier gar nichts bewegen.

Fazit


Es ist Zeit für ein Fazit: Die geplante Urheberrechtsreform ist bei näherem Hinsehen keine Schwächung von Publikationsfreiheit, sondern stärkt sie. Verlage trauern in ihrer Einschätzung der Lage alten Zeiten hinterher, in denen es das Internet und seine vielfältigen Inhalte noch nicht gab. Die Verknüfung richtiger Ziele wie der Sicherung von inhaltlicher Vielfalt, von anspruchsvollen gedruckten Monographien oder einer facettenreichen Verlagslandschaft mit einer Opposition zur geplanten Urheberrechtsreform jedoch, wie das bei publikationsfreiheit.de geschieht, ist hochproblematisch.

Die Rettung des gedruckten Buches vor dem bösen Internet ist gewissermaßen das "Katzenbaby-Foto", das zur Unterschrift verführt, obwohl man dabei mit Blick auf die geplante Urheberrechtsreform gegen die eigenen Interessen als Wissenschaftsautorin oder Wissenschaftsautor handelt. Man sollte das wissen. Es liegt nur leider nicht auf der Hand. Aber so funktionieren Leimruten nun einmal ...

Da will doch jeder gerne den Schalter drücken ...


10. März 2017
von Eric W. Steinhauer
Kommentare deaktiviert für Heute im Watch-Blog: publikationsfreiheit.de

Heute im Watch-Blog: publikationsfreiheit.de

In engem zeitlichen Zusammenhang zur Publikation des Referenten-Entwurfes für ein zeitgemäßes, den digitalen Bedürfnissen in in Bildung und Wissenschaft angepasstes Urheberrecht wurde von Verlegerseite die Internetseite publikationsfreiheit.de an die Öffentlichkeit gebracht.

Die Seite, die von der "MVB Marketing und Verlagsservice des Buchhandels GmbH" betrieben wird, tritt unter dem suggestiven und positiv besetzten Begriff der Publikationsfreiheit an, um angebliche Bedrohungen des wissenschaftlichen Publikationswesens durch verschiedene politische Vorhaben wie die Förderung von Open Access oder die Reform des Urheberrechts abzuwehren.

Im Zusammenhang mit der Freischaltung der Seite haben einige Verlage begonnen, ihre Autoren anzuschreiben und sie zur Zeichnung von publikationsfreiheit.de zu ermuntern. Sieht man sich die allerersten Unterzeichner an, so wurde Wert darauf gelegt, gerade Professorinnen und Professoren für die Kampagne zu gewinnen. Es wurde in diesem Blog schon darauf hingewiesen, dass dabei auch grob falsche Angaben über den Inhalt der geplanten Urheberrechtsreform geäußert worden sind. Autorinnen und Autoren hatten so das Gefühl bekommen, sie würden durch die Neuregelungen etwa für elektronische Semesterapparat regelrecht enteignet, was freilich Blödsinn ist.

Gleichwohl (oder gerade deshalb?) war die Kampagne bislang recht erfolgreich. So konnten bis heute 5.129 Unterschriften gesammelt werden.

Interessierte Kreise nutzen diese beeindruckende Zahl bereits für ihre politischen und publizitischen Zwecke. Sie glauben, zeigen zu können, dass die geplante Urheberrechtsreform nicht den Interessen der Wissenschaft dient, wehrt sich diese doch deutlich dagegen. Auf publikationsfreiheit.de kann man es ja nachlesen.

In dieser Woche hat unter der boulevardesken Überschrift "Wie man ein Monstrum nährt" Thomas Thiel der der F.A.Z., die in Urheberrechtsfragen seit geraumer Zeit die unrühmliche Rolle eines tendenziösen Kampagnenblattes spielt, nun auch die Seite publikationsfreiheit.de für sich entdeckt. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem  "Appell für die Publikationsfreiheit, der in der Wissenschaft für Furore sorgt".

Dann wird Thiel konkreter: "Die Allianz der Wissenschaften, die den Reformentwurf enthusiastisch begrüßt, ist geübt darin, jede Kritik als Verlagslobbyismus abzuwiegeln. Wenn sie im Namen von Bildung und Innovationskraft die großzügigen Ausnahmen vom Urheberrecht verteidigt, tut sie das aber nur bedingt im Namen der Wissenschaft. Die mehr als tausend Professoren unter den mehr als viertausend Signataren des Appells sind ein deutliches Zeichen, dass die Allianz auch von vielen Wissenschaftlern nicht mehr als Repräsentantin anerkannt wird, sondern als wissenschaftsferne Elite, die ihr eigenes technokratisches Spielchen treibt."

Wow! Denkt man. Das ist ja unglaublich. Wie kann man nur so gegen "die" Wissenschaft arbeiten?!

Vermutlich war es dem vielbeschäftigen Redakteur einer Qualitätszeitung nicht möglich, sich die Liste der Unterzeichner genauer und vor allen Dingen kritisch anzusehen. Kein Problem. Dafür gibt es ja das Internet. Und so reiche ich gerne ein paar Fakten nach. Ich habe mir nämlich die Seite - ganz konservativ - ausgedruckt und bin ALLE Unterzeichner durchgegangen. Soweit sie Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer sind, habe ich ihr biographischen Angaben nachgeschlagen (Wikipedia, Homepage, Kürschners Gelehrtenkalender). Herausgekommen ist ein ziemlich interessantes Bild davon, was genau "die" Wissenschaft ist, die man auf publikationsfreiheit.de findet. 

Das Internet kann man auch ausdrucken!

Es handelt sich um 1.108 Professorinnen und Professoren, wobei Angehörige ausländischer Hochschulen, die von der Urheberrechtsreform in Deutschland ja nicht betroffen sind, nicht gezählt werden. Dafür wurden auch Personen berücksichtigt, die ihren Titel nicht genannt haben, mir selbst aber als Hochschullehrer bekannt waren. Wer zu den "Professoren" zählt, wurde auf Grundlage der Selbstbezeichnungen denkbar weit gefasst. Und so wurden auch die vielen Honorarprofessoren oder Klinikärzte berücksichtigt.

Was war nun das Ergebnis?

Um es in einem Satz zu sagen: Knapp 40 % der Unterzeichner sind "Rentner" (435 Personen). Über 55 % sind älter als 60 Jahre (613 Personen). Lediglich 16 % der Unterzeichner sind jünger als 50 Jahre (180 Personen). 

Das bedeutet, es haben sich mehrheitlich Personen über Open Access und eine digitalfreundliches Urheberrecht geäußert, die damit in der Praxis GAR NICHTS zu tun haben bzw. eine analoge wissenschaftliche Sozialisation durchlaufen haben. Die überwältigende Mehrheit der Professorenschaft, vor allem die jüngere Generation, ignoriert publikationsfreiheit.de. Es besteht überhaupt kein Anlass, wie Thiel des in seinem Beitrag in der F.A.Z. tut, einen auf "dicke Hose" zu machen. Bei Licht besehen, ist die Kampagne ein einziger Misserfolg für die Verlage.

Es ist auffällig, dass die Unterzeichnungen in Clustern erfolgen, plötzlich finden sich ganz viele Juristen, dann wieder Mediziner, dann kommen die Chemiker, dann die (Sozial)Pädagogen, die Philosophen und die Germanisten. Berücksichtigt man die im Appell engagierten Verlage, so haben wir es hier mit der etwas bejahrten und betagten Autorenschaft von rund einem Dutzend Verlagen zu tun. Für "die" Wissenschaft ist das dann doch etwas dünn.

Geschenkt ist, dass es eine zweistellige Zahl von Doppelzeichnungen gab, die teilweise mehrere Tage auseinander liegen, offenbar eine Reaktion auf mehrere Verlegerbriefe. Erstaunt ist man auch, dass sich berühmte Professoren jenseits der 80, ja sogar jenseits der 90 (selbst?) beteiligt haben.

Geschenkt ist auch, dass die Teilnahme ohne Identitätsprüfung möglich ist, so dass auch ein "Johannes Gutenberg" und "a.k." mitmachen konnten.

Ebenfalls geschenkt ist, dass erstaunlich viele der ansonsten sehr wenigen Studenten, die den Appell unterzeichnet haben, aus Heidelberg kommen ... An diesem "Knochen" können Freunde von Verschwörungstheorien behaglich nagen.

Interessanter ist schon, dass mit Ausnahme von Horst-Peter Götting von der TU Dresden, der als Vertreter sehr verlagsnaher Positionen im Urheberrecht seit vielen Jahren bekannt ist, KEIN EINZIGER renommierter Urheberrechtlicher unterzeichnet hat. Klar, man will sich angesichts der merkwürigen Faktendarstellung des Appells ja nicht balmieren.

Erwähenswert ist auch, dass die Anzahl der Namen von Mitarbeitern des Thieme-Verlages, die sich unter dem Appell finden, mit rund 140 fast an die Zahl der "U-50-Küken" unter den Professoren heranreicht. Näher untersuchen könnte man auch, warum die jüngeren Professorinnen und Professoren oft von Fachhochschulen und dort aus den Bereichen (Sozial)Pädagogik und Wirtschaft kommen.

Wirklich spannend aber ist etwas ganz anderes. Ich greife noch einmal die Worte von Thiel aus der F.A.Z. auf: "Die mehr als tausend Professoren unter den mehr als viertausend Signataren des Appells sind ein deutliches Zeichen, dass die Allianz auch von vielen Wissenschaftlern nicht mehr als Repräsentantin anerkannt wird ..." Wenn wirklich etwa klar geworden ist, dann dies: Dass die Verlage offenbar den Kontakt zu den jüngeren Hochschullehrern verloren haben und damit Gefahr laufen, massiv ihre Zukunft zu verspielen. Diese Gefahr besteht unabhängig von dem Ausgang der geplanten Urheberrechtsreform.

Politiker lassen sich gerne von Zahlen beeindrucken. 5.000 Namen auf einer Webseite machen was her. Keine Frage. Repräsentativ freilich sind sie nicht. Und von den über 1.000 Professoren bleiben bei Licht besehen ein paar Hundert im aktiven Dienst übrig. Als Kampagne ist publikationsfreiheit.de unwichtig, als Problembeschreibung jedoch alarmierend. Wenn es nicht gelingt, Verlage und ihre Produkte in die digitale Welt von heute einfach und unkompliziert einzubinden, so wie es im geplanten Urheberrecht vorgesehen ist, sieht es düster aus.

Die Lage ist viel zu ernst, um sie den Marketing-Heinis der Verlage oder einem kurzsichtigen Tendenzjournalismus zu überlassen. Hier ist mutige politische Gestaltung gefragt. Im Referenten-Entwurf der geplanten Urheberrechtsnovelle kann man alles Erforderliche nachlesen.

3. März 2017
von Eric W. Steinhauer
Kommentare deaktiviert für Rechtsquelle Wikipedia?

Rechtsquelle Wikipedia?

[wird laufend aktualisiert]

Am 3. und 4. März 2017 findet an der FernUniversität in Hagen unter dem Titel "Rechstquelle Wikipedia? : Praxis - Fiktionen - Standards" ein Symposium zur Bedeutung der Wikipedia in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis statt.

Begrüßung und Vorstellung des Tagungskonzepts
(Prof. Dr. Katharina Gräfin von Schlieffen)

Es geht anekdotisch los: Darf man sein eigenes Werk bei Wikipedia promoten? Ein "Editorenkrieg" über die "Selbstbewertung" eines Hochschullehrers war der Anlass, um einmal über Wikipedia, seine Funktion und die Art der Qualitätskontrolle nachzudenken.

Wikipedia ist in der Rechtspraxis angenommen.

Gerichte setzen Fakten bei Wikipedia als gerichtsbekannt voraus, sie entnehmen dort Definitionen und sogar Rechtsauffassungen.

Wikipedia lässt sich von Laien und Juristen wie ein Rechtswörterbuch benutzen. Sie wird offenbar wie der Brockhaus früher benutzt. Probleme dabei: Zitierfähigkeit und Wahrheitsgehalt, aber auch die Flüchtigkeit und die Manipulierbarkeit der Beiträge.

Es geht auch um die rechtstheoretische Perspektive im Verhältnis von Recht und Wikipedia. Zentral ist aber auch der juristische Mediengebrauch. Bisher sind Juristen eher "medienblind", man denkt an Form und Verfahren, nicht aber an Medialität. Man meint: "Wikipedia existiert nicht, oder ist ein Lexikon." Aber stimmt das so?

Die Rechtsrhetorik gestattet es, nach Form und Inhalt zu differenzieren. Mit der Digitalisierung werden die Dinge zudem flüchtig. Gerade bei Wikipedia tritt Autorschaft in den Hintergrund. Welche Autorität wird damit noch dargestellt. Gerade die juristische Meinung verlangt das Subjekt, das sie - auch streitig - vertritt. Ist unter den Bedingungen von Wikipedia noch eine solche Meinung möglich.?

Führt das Wikisystem zu einer Demokratisierung und einer Entwertung des Experten?

Diese und weitere Aspekte soll die Tagung in verschiedenen Beiträgen beleuchten.

1. Teil: Das Konzept Wikipedia

Das Konzept Wikipedia
(Dr. Lukas Mezger, Wikimedia Deutschland)

Zu Beginn wird erst einmal die Wikipedia vorgestellt. Wikipedia ist eine Enzyklopädie in Form eines Wikis. Wikipedia ist nur ein Beispiel für ein Wiki, es gibt auch tausende andere.

Wikiprinzip: Jeder Seite kann jederzeit frei bearbeitet werden. Änderungen sind offen einsehbar. Das Herrschaftsprinzip bei Wikipedia ist "Logokratie", es geht darum, Konflikte um Inhalte werden in Diskussionen gelöst.

Wir haben in Deutschland rund 6.000 aktive Wikipedia-Autoren (mehr als 5 Bearbeitungen im Monat).

Hinter Wikipedia steht die Wikimedia-Bewegung, die im Geist der "Aufklärung" daran arbeitet, allen Menschen auf der Welt das verfügbare Wissen der Menschheit zur Verfügung zu stellen.

Die Wikimedia Foundation betreibt die Server und die Markenrechte. In Deutschland arbeitet die Wikimedia Deutschland e.V.


Rechtsvergleichende Systematik auf Wikipedia
(Dr. Lukas Mezger und Tobias Liutzi LL.M./M.Jur./M.Phil., Universität Oxford)

Wikipedia ist der Schwarmintelligenz verpflichtet, aber es gibt zugleich einen großen Bedarf an Koordination. Das Problem wird am Beispiel der Rechtsvergleichung illustriert.

Nationale Rechtssysteme sind autonom. So gibt es nicht den "Vertrag an sich", sondern immer nur in den Ausprägungen der jeweiligen Rechtsordnung.

Wikipedia dient NICHT der Theoriebildung, sondern fußt als Tertiärquelle (Enzyklopädie) auf Sekundärquellen.

Koordinierungsaufgaben nimmt die "Redaktion Recht" bei Wikipedia wahr.
Eine Konsequenz: Der Rechtsvergleich muss von einem nationalen Rechtsinstitut klar getrennt werden -> die Lemmatisierung kann daher nur national oder vergleichend sein.
Beispiel: Tötungsdelikt (Rechtsvergleichend) - Mord (Deutschland), Mord (Österreich), etc.

Neben den Lemmata gibt es Kategorisierungen, ja ganze Kategorienbäume.

Die begriffliche Arbeit in der Wikipedia deckt Lücken in der Forschungslandschaft auf, etwa: Es gibt nur unzureichende rechtsvergleichende Literatur zum Thema Verwaltungsgliederung.


Wikipedia aus Sicht des Urheberrechts
(Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock, FernUniversität in Hagen)

17. Februar 2017
von Eric W. Steinhauer
Kommentare deaktiviert für Verlage führen ihre Autoren beim UrhWissG in die Irre!

Verlage führen ihre Autoren beim UrhWissG in die Irre!

Auf publikationsfreiheit.de wird von Verlagen Front gegen geplante wissenschaftsfreundliche Änderungen im Urheberrecht gemacht.

Etliche Verlage schreiben gerade ihre Autorinnen und Autoren an, um sie zu bitten, die Aktion durch ihre Unterzeichnung zu unterstützen.

Mit liegt die Mail eines sehr großen deutschen juristischen Verlages vor. Dort heißt es wörtlich:

"Wie dem nun vorliegenden Referentenentwurf zu entnehmen ist, ist eine gravierende und umfassende Einschränkung auch Ihrer Rechte geplant. Bis zu 25% eines Werkes sollen vergütungsfrei von Hochschulen, Bibliotheken und anderen Bildungseinrichtungen genutzt werden können."

In dem öffentlichen einsehbaren Gesetzentwurf heißt es demgegenüber:
 
§ 60a Abs. 1 UrhG-E
"Zur Veranschaulichung des Unterrichts und der Lehre an Bildungseinrichtungen dürfen zu nicht-kommerziellen Zwecken bis zu 25 Prozent eines veröffentlichten Werkes vervielfältigt, verbreitet, öffentlich zugänglich gemacht und in sonstiger  Weise öffentlich wiedergegeben werden 1. für Lehrende und Teilnehmer der jeweiligen Veranstaltung, 2. für Lehrende und Prüfer an derselben Bildungseinrichtung sowie 3. für Dritte, soweit dies der Präsentation des Unterrichts, von Unterrichts- oder Lernergebnissen an der Bildungseinrichtung dient."

§ 60h Abs. 1 UrhG-E


"Für Nutzungen nach Maßgabe dieses Unterabschnitts hat der Urheber Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung. Vervielfältigungen sind nach den §§ 54 bis 54c zu vergüten." 

Werden die geplanten Bestimmungen Gesetz, dann werden sich ALLE Autorinnen und Autoren über eine stabile Ausschüttung über die VG Wort freuen können. Was daran eine "umfassende Einschränkung" von Rechten sein soll, bleibt unverständlich. Die Behauptung jedenfalls, die Nutzung erfolge vergütungsfrei, ist eine glatte Lüge. Man kann es leider nicht diplomatischer ausdrücken.

Auch andere Verlage haben vergleichbare Schreiben an ihre Autorinnen und Autoren geschickt. 

Auf der Seite publikationsfreiheit.de werden die unbestritten wichtigen Grundrechte der Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit als Zielpunkt der Kampagne aufgerufen. Wörtlich heißt es:

"In einer Zeit, in der es wichtiger denn je ist, die Grenzen zwischen Fakten und Wissen auf der einen Seite und Behauptungen und Halbwissen auf der anderen Seite klar zu ziehen und zu verteidigen, müssen diese Grundrechte erst recht gestärkt werden."

Ich kann dieses Anliegen nur unterstützen. 

Daher werden ich einen Appell, der sich zur Werbung von Unterstützerinnen und Unterstützern nachweislich falscher Behauptungen bedient, nicht unterschreiben. Sollte dies jemand bereits getan haben, sollte er oder sie ernsthaft überdenken, seine oder ihre Unterschrift bei dieser unseriösen Kampagne wieder zurückzuziehen.

17. Februar 2017
von Eric W. Steinhauer
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Stellungnahme zum UrhWissG



Die folgende Stellungnahme zur geplanten Reform im Wissenschaftsurheberrecht habe ich heute an das BMJV übermittelt. Informationen zum Gesetzgebungsverfahren sind hier zu finden.

Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesell­schaft (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz – UrhWissG)


1. Vorbemerkung


Der vorliegende Referentenentwurf des Urheber­rechts-Wissensgesellschafts-Gesetzes dient der Umsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten Bildungs- und Wissenschaftsschranke. Diese Schranke soll nach dem Willen der Koalitionsfraktionen den Belangen von Wissenschaft, For­schung und Bildung stärker als das geltende Recht Rech­nung tragen.


Dieses Ziel wird in hohem Maße erreicht!


Lediglich zu einigen wenigen Punkten, insbesondere im Bereich des geplanten § 60e UrhG-RefE besteht noch Dis­kussionsbedarf, damit die neue Rechtslage nicht hinter die aktuelle Situation zurückfällt.


2. Einzelfragen im Gesetzentwurf


2.1 Neubestimmung des „Kirchengebrauchs“


In § 46 UrhG soll der Ausdruck „Kirchengebrauch“ durch den religionsneutralen Ausdruck „Gebrauch während religi­öser Feierlichkeiten“ ersetzt werden. Das Ziel der religions­neutralen Formulierung ist zu begrüßen. Die gewählte Aus­drucksweise ist jedoch zu eng. Sie setzt voraus, dass die gemeinschaftliche Religionsausübung stets in Form einer religiösen Feierlichkeit erfolgt. Der alte Ausdruck „Kirchen­gebrauch“ war insoweit offener. Mit Blick auf die durch das Grundrecht der Religionsfreiheit gewährleistete religiöse Selbstbestimmung ist es allein Sache der Gläubigen und der jeweiligen Religionsgemeinschaften, Art und Form ihrer öffentlichen Religionsausübung zu bestimmen. Ob dies immer in der Form einer Feierlichkeit oder nicht auch in anderen gemein­schaftlichen religiösen Übungen ohne Feiercharakter erfolgt, legt die Religions­gemeinschaft selbst fest. Insoweit ist es sachgerechter, den mit Blick auf die religiöse Selbstbestimmung offeneren Ausdruck


„den religiösen Gebrauch“


zu verwenden, der bereits für die neue Überschrift des § 46 UrhG vorgesehen ist.


2.2 Wichtige Klarstellung beim Zitatrecht


Die in § 51 UrhG geplante Klarstellung, dass bei Zitaten die Nutzung von Abbildungen des zitierten Werkes ebenfalls zulässig ist, kommt den Bedürfnissen der Praxis sehr entgegen und ist geeignet, bestehende Rechtsunsicherheiten gerade bei Zitaten im Kontext von Social Media zu beseitigen.


2.3 Streichung von § 53 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 UrhG?


Der Begriff des Archives in § 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UrhG ist nicht als Institution, sondern funktional als bloße Sammlung zu verstehen. Daher gibt es auch nach der vorgesehenen Einführung von § 60f UrhG-E, wo das Archiv als eine Einrichtung adressiert wird, noch ein praktisches Bedürfnis, nicht-institutionelle Sammlungen etwa in Behörden, Forschungsorganisationen oder Religionsgemeinschaften, aber auch privaten Initiativen weiterhin die elektronische Archivkopie zu gestatten, sofern ein öffentliches Interesse gegeben ist und keine kommerziellen Interessen verfolgt werden. Nr. 9 a) bb) ccc) des Referentenentwurfes sollte daher gestrichen werden.


2.4 Vervielfältigung von Noten


Das in § 60a Abs. 3 Nr. 3 UrhG-RefE vorgesehene Verbot, Noten zu vervielfältigen, ist zu eng. Richtigerweise sollten Kopien verboten bleiben, die etwa für musikalische Darbietungen von Chören oder Orchestern den Erwerb von Verlagspublikationen überflüssig machen, weil in diesen Fällen der Absatzmarkt für Noten empfindlich beeinträchtigt würde. Dieses Verbot ist nach § 53 Abs. 4 Buchst. a) UrhG weiterhin gültig. Soweit es aber um Auszüge oder einzelne Seiten zum Zwecke des Unterrichts geht oder Ablichtungen, die von einem eigenen Werkstück vorgenommen werden, um dort Anmerkungen und dergleichen für eine konkrete musikalische Darbietung anzubringen (vgl. Dreier/Schulze § 53 UrhG, 5. Aufl. 2015, Rn. 47), ist es im Rahmen von § 60a UrhG-RefE sinnvoll, dieses Verbot zu lockern, zumal im Gegenschluss zu § 60a Abs. 3 Nr. 3 UrhG-RefE für die wissenschaftliche Forschung im geplanten § 60c UrhG-RefE Noten entgegen der früheren Rechtslage nach § 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 4 Buchst. a) UrhG ohne jede Einschränkung vervielfältigt werden dürfen. Es wird daher vorgeschlagen, § 60a Abs. 3 Nr. 3 UrhG-RefE wie folgt zu fassen:


„Vervielfältigungen von grafischen Aufzeichnungen von Werken der Musik, soweit sie für musikalische Darbietungen verwendet werden oder die Vorlage kein eigenes Werkstück ist.“


2.5 Begriff der Bildungseinrichtung


Eine klare Bestimmung derjenigen Einrichtungen, die als Bildungseinrichtungen im Sinne des Gesetzes gelten, ist sinnvoll, zumal beispielsweise Bibliotheken, für die mit § 60e UrhG-RefE künftig eine eigene Bestimmung vorgesehen ist, in Landesgesetzen mitunter expliziert als „Bildungseinrichtung“ bezeichnet werden, vgl. 3 S. 1 Thüringer Bibliotheksgesetz.


Legt man die Aufzählung im geplanten § 60a Abs. 4 UrhG- RefE zugrunde, so gelten Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung pauschal als Bildungseinrichtungen im Sinne des Gesetzes. Darunter sind sicher auch die in den Weiter- und Erwachsenenbildungsgesetzen der Länder geregelten Volkshochschulen zu verstehen.


Wie aber sind Einrichtungen der außerschulischen Jugendbildung im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII einzuordnen? Musikschulen etwa werden teilweise in den Schulgesetzen der Länder geregelt, etwa in § 124 Berliner Schulgesetz, teilweise in eigenen Spartengesetzen als Bildungseinrichtungen bezeichnet, etwa in § 1 Abs. 2 S. 1 Brandenburgisches Musik und Kunstschulgesetz. Mit Blick auf die sehr weitreichende und pauschale Einbeziehung von Weiterbildungseinrichtungen sollten in gleicher Weise auch Einrichtungen der außerschulischen Jugendbildung von den Ausnahmen des § 60a UrhG-RefE profitieren.


Da § 60a UrhG-RefE nicht pauschal Lehre und Unterricht, mithin Bildung privilegiert, sondern voraussetzt, dass Lehre und Unterricht an gesetzlich näher bestimmten Bildungseinrichtungen stattfindet, fällt nicht nur die außerschulische Jugendbildung, sondern fallen auch Bildungsmaßnahmen im Strafvollzug, insbesondere im Jugendstrafvollzug, aus dem Anwendungsbereich der Schranke heraus. Dabei ist auch dort der Umgang mit Medien ein wichtiges Thema, wie sich beispielsweise aus § 128 Abs. 2 S. 3 des Niedersächsischen Strafvollzugsgesetzes ergibt, wonach das Erlernen und Einüben eines verantwortungsvollen Umgangs mit neuen Medien ein ausdrückliches Bildungsziel des Strafvollzuges ist.


Es wird daher vorgeschlagen, dass § 60a Abs. 4 UrhG-RefE folgende Fassung erhält:


„Bildungseinrichtungen sind frühkindliche und anerkannte außerschulische Bildungseinrichtungen, Schulen, Hochschulen sowie Einrichtungen der Berufsbildung oder der sonstigen Aus- und Weiterbildung. Für Bildungsangebote im Bereich des Straf- und Maßregelvollzuges gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend.“


2.6 Nutzung der Korpus-Kopien bei Text- und Datamining


Nach § 60d Abs. 3 S. 2 UrhG-RefE dürfen künftig Korpora, die als Grundlage für Text- und Datamining (TDM) erstellt worden sind, zum Zwecke der wissenschaftlichen Nachprüfbarkeit dauerhaft archiviert werden. Unklar scheint hier, inwieweit eine Nutzung dieser Kopien zulässig ist. Denkbar wäre, § 60e Abs. 4 UrhG-RefE anzuwenden, was aber zur Konsequenz hätte, dass auf dem Umweg des Text- und Datamining erhebliche Bestandsvermehrungen in Bibliotheken, Archiven und vergleichbaren Einrichtungen möglich sind. Da hier die Interessen der Rechteinhaber unverhältnismäßig stark beeinträchtigt werden können und somit die Gefahr von Rechtsstreitigkeiten besteht, sollte die Nutzung der Korpus-Kopien auf die Nachprüfbarkeit von TDM-Ergebnissen beschränkt, in diesem Umfang aber zur Klarstellung auch ausdrücklich im Gesetz gestattet werden.


Es wird daher vorgeschlagen § 60d Abs. 3 UrhG-RefE um einen Satz 3 wie folgt zu ergänzen:


„Das Korpus und die Vervielfältigungen des Ursprungsmaterials dürfen ausschließlich zum Zweck der Überprüfung der bei den abgeschlossenen Forschungsarbeiten gefun­denen Ergebnisse nach Maßgabe von § 60e Abs. 4 genutzt werden.“


2.7 Digitalisierung in Bibliotheken durch Dienstleister


Bibliotheken wird in § 60e Abs. 1 UrhG-RefE in weitem Umfang die Digitalisierung ihrer Bestände gestattet. Die Formulierung der geplanten Regelung legt nahe, dass Biblio­theken die bei der Digitalisierung notwendigen Vervielfältigungen selbst anfertigen. Bislang konnte eine Digitalisierung eigener Bestände beispielsweise auf die Archiv­schranke in § 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 UrhG oder für die Nutzung an einem elektronischen Leseplatz (§ 52b UrhG) nach der Rechtsprechung des BGH auf eine Analogie zu § 52a UrhG gestützt werden (NJW 2015, S. 3513 – Elektronische Leseplätze II).


Bei der Archivschranke wird ausdrücklich die Modalität des Herstellenlassens gestattet, § 52a Abs. 3 UrhG erlaubt ohne nähere Charakterisierung Vervielfältigungen. Dem­gegenüber stellt die nunmehr in § 60e Abs. 1 UrhG-RefE für Bibliotheken aus Spezialitätsgründen künftig allein anwendbare Vorschrift darauf ab, dass Bibliotheken die erlaubten Vervielfältigungen selbst anfertigen.


Um eine vom Gesetzgeber sich nicht intendierte Verschlechterung gegenüber der geltenden Rechtslage zu vermeiden, wird vorgeschlagen, in § 60a Abs. 1 UrhG-RefE nach den Worten „und Restaurierung vervielfältigen“ die Worte


„oder vervielfältigen lassen“


einzufügen.


2.8 Reparaturkopien und Reproduktionsexemplare


In § 60e Abs. 2 S. 1 UrhG-RefE wird die Übermittlung von Vervielfältigungen zum Zwecke der Reparatur von beschädigten Werken in anderen Bibliotheken durch die ein unbeschädigtes Exemplar besitzende Bibliothek gestattet. Nach Satz 2 dürfen die reparierten Werke anschließend ausgeliehen werden. Gleiches gilt für Kopien vergriffener oder zerstörter Werke, die sich im Bestand der begünstigten Bibliothek befinden bzw. befunden haben müssen.


Im geltenden Recht können Bibliotheken die Reparaturkopien auf Grundlage von § 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 UrhG anfertigen oder anfertigen lassen. Die Ausleihe wird über § 53 Abs. 6 S. 2 UrhG gestattet, der insoweit das allgemeine Weiterverbreitungsverbot für Vervielfältigungen in § 53 Abs. 6 S. 1 UrhG aufhebt. In der Praxis werden Kopien von einzelnen Reparaturseiten durch andere Bibliotheken angefertigt. Da § 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 UrhG auch den Modus des Herstellenlassens erlaubt, stellt die Übergabe dieser Kopien keine Verbreitungshandlung, sondern lediglich eine urheberrechtlich irrelevante Übermittlungshandlung im Rahmen eines einheitlichen Vervielfältigungsgeschehens dar.


Soweit vergriffene Werke reproduziert werden, stellen die Bibliotheken die dafür notwendigen Vervielfältigungen in der Regel nicht selbst her, sondern bedienen sich externer Dienstleister, die professionelle Reproduktionen erstellen und regalfertig binden. Auch dies ist zulässig, weil es bei § 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Buchst. b) UrhG den Modus des Herstellenlassens gibt.


Vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage, die insoweit unangetastet bleibt, als die einschlägigen Bestimmungen des UrhG nicht aufgehoben werden, ist durch die Neuregelung kein Mehrwert erkennbar, sieht man von der tatsächlich neuen Regelung ab, dass auch nicht vergriffene Werke als Reproduktion genutzt werden können, soweit die vorhandenen Bestandsexemplare zerstört worden sind.


Ansonsten wird in § 60e Abs. 2 S. 1 UrhG-RefE eine Verbreitungshandlung gesetzlich geschaffen, für die in dieser Form kein praktisches Bedürfnis besteht. Die Einführung des Satz 1 ist offenbar eine Konsequenz aus dem Umstand, dass § 60e Abs. 1 UrhG-RefE künftig kein Herstellenlassen mehr vorsieht. Auf dieser Linie liegen auch die Befugnisse nach Absatz 2, denn die dort zulässigen Vervielfältigungen dürfen offenbar allein durch die besitzende Bibliothek angefertigt werden, was den jahrzehntelang in der Praxis bewährten Einsatz professioneller Dienstleister gerade bei der Reproduktion vergriffener Werke ausschließt.


Ausweislich der Begründung (S. 43) soll ein Rückgriff auf § 53 UrhG nur noch für kommerziell arbeitende Bibliotheken möglich sein, so dass für die große Zahl der öffentlich zugänglichen Bibliotheken in Deutschland für Reparatur- und Reproduktionskopien künftig allein § 60e UrhG gelten wird. Da diese Vorschrift aber eine deutliche Verschlechterung gegenüber der geltenden Rechtslage darstellt, wird empfohlen § 60e Abs. 2 UrhG-RefE nur insoweit zu belassen, wie er die Nutzung von Kopien für zerstörte Exemplare erlaubt. Zusätzlich sollte auch die Nutzung von Ersatzkopien von Werken zulässig sein, die wegen ihres Erhaltungszustandes von der Benutzung ausgenommen sind. Unter der Voraussetzung, dass in § 60e Abs. 1 UrhG-RefE die Möglichkeit des Herstellenlassens wieder vorgesehen wird, sollte § 60e Abs. 2 UrhG-RefE wie folgt gefasst werden:


„Unbeschadet § 53 Abs. 6 S. 2 dürfen Bibliotheken auch Vervielfältigungsstücke zerstörter oder wegen ihres Erhaltungszustandes für die Benutzung gesperrter Werke verleihen.“


2.9 Umfang der Dokumentlieferung durch Bibliotheken


Die Regelung über die Dokumentlieferung in § 53a UrhG soll durch § 60e Abs. 5 UrhG-RefE ersetzt werden. Positiv hervorzuheben ist, dass für die nicht-kommerzielle Nutzung in Bildung und Wissenschaft nunmehr alle Lieferwege in allen Formaten eröffnet sind. Die Lieferung von nur 10 % eines erschienenen Werkes ist eine klar handhabbare Größe, wenngleich an dieser Stelle eine exakte Prozentzahl vielleicht nicht so nötig ist wie bei § 60a UrhG-RefE. Im Gegensatz zur Situation in Lehre und Unterricht sind in den Bibliotheken fachliche geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Dokumentlieferung tätig, so dass dieser Personenkreis auch mit einer flexibleren Regelung, wie sie derzeit in § 53a UrhG zu finden ist, umgehen kann. Zudem wird in der Praxis diese Prozentzahl keine limitierende Wirkung haben, da sie mehrere, zeitlich gestreckte Teilbestellungen bei mehreren Bibliotheken provozieren wird. Es sollte daher überlegt werden, ob es nicht bei der bisherigen Umfangsbestimmung, wie sie in § 53a UrhG zu finden ist, bleiben sollte.


2.10 Keine Dokumentlieferung für gewerbliche Nutzer?


Nach § 60e Abs. 5 UrhG-E soll die Lieferung von Kopien in der Dokumentlieferung nur für eine nicht-kommerzielle Nutzung zulässig sein. Dies ist im geltenden Recht nach § 53a UrhG derzeit nur bei der Lieferung in sonstiger elektronischer Form der Fall. Ansonsten können etwa Gewerbetreibende Kopien im Wege des Post- und Faxversandes erhalten. Da dieser Nutzerkreis nach § 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Buchst. a) UrhG entsprechende Kopien auch durch Dritte herstellen lassen kann, ist nicht einzusehen, warum diese Dritten nicht auch Bibliotheken sein können.


Auch das europäische Recht fordert keine Beschränkung auf eine lediglich nicht-kommerzielle Nutzung. Der in der Begründung (S. 45) zitierte Artikel 5 Abs. 2 Buchst. c) InfoSoc-RL bezieht sich auf Kopien, die Bibliotheken im Rahmen ihrer Aufgaben für sich selbst in Bezug auf ihren Bestand anfertigen. Das ergibt sich schon aus der gleichzeitigen Nennung mit Bildungseinrichtungen und Museen, zu deren Aufgaben die Dokumentlieferung sicher nicht gehört. Richtigerweise sind Kopien in der Dokumentlieferung den Bestellern zuzuordnen, wie bereits der BGH vor vielen Jahren entschieden hat und § 53a UrhG dies ausdrücklich klarstellt (BGH GRUR 1999, 707 – Kopienversanddienst).


Zwar mag Erwägungsgrund 40 der InfoSoc.-RL Zurückhaltung bei elektronischen Lieferdiensten fordern und daher für diesen Lieferweg eine Beschränkung auf nicht-kommerzielle Nutzungen nahelegen, für alle andere Nutzergruppen aber sollte wie im geltenden Recht auch der Post- und Faxversand weiterhin bestehen bleiben.


Es wird daher vorgeschlagen, § 60e UrhG-RefE wie folgt zu fassen:


„Auf Einzelbestellung an Nutzer übermitteln dürfen Bibliotheken Vervielfältigungen von bis zu 10 Prozent eines erschienenen Werkes sowie einzelner Beiträge, die in Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind. Dient die Nutzung gewerblichen Zwecken, so ist die Übermittlung nur im Wege des Post- oder Faxversandes zulässig.“


2.11 Keine Vervielfältigung vergriffener Werke durch Bibliotheken für Endnutzer mehr?


§ 53 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Buchst. b) UrhG gestattet für den sonstigen eigenen Gebrauch die vollständige Vervielfältigung vergriffener Werke. Dies kann auch durch Dritte im Wege des Herstellenslassens geschehen. Ein Nutzer könnte sich daher ein vergriffenes Werk in einer Bibliothek ausleihen und durch einen Dienstleister vollständig reproduzieren lassen.


Es ist nicht einzusehen, warum nicht auch Bibliotheken selbst diese Dienstleitung anbieten dürfen, zumal bei seltenen und schonungsbedürftigen Werken eine Ausleihe außer Haus nicht möglich sein wird. Gerade bei solchen Werken besteht aber ein Interesse daran, dass sie etwa durch Reproduktionen weiterhin zugänglich sind. Schon im geltenden Recht ist diese Möglichkeit durch die enge Fassung des § 53a UrhG allenfalls für lokale Bibliotheksnutzer gegeben.


Mit Blick auf die Liberalisierung der Nutzung vergriffener Werke etwa für den Forschungsgebrauch in § 60c Abs. 3 UrhG-RefE sollte diese Möglichkeit auch bei der Dokumentlieferung vorgesehen werden.


Es wird daher vorgeschlagen, über die vorstehende empfohlene Änderung hinaus § 60e Abs. 5 UrhG-RefE wie folgt zu fassen:


„Auf Einzelbestellung an Nutzer übermitteln dürfen Bibliotheken Vervielfältigungen von bis zu 10 Prozent eines erschienenen Werkes, seit zwei Jahren vergriffener Werke sowie einzelner Beiträge, die in Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind. Dient die Nutzung gewerblichen Zwecken, so ist die Übermittlung nur im Wege des Post- oder Faxversandes zulässig.“


2.12 Dokumentlieferung von eRessourcen?


Wie schon § 53a UrhG so schränkt auch § 60a UrhG-RefE die Dokumentlieferung auf eine im Sinne von § 6 UrhG erschienene Vorlage ein. Fraglich ist daher, ob eine Dokumentlieferung auf lediglich elektronisch vorliegende Quellen wie eBooks oder eJournals möglich ist. Zwar wird in der urheberrechtlichen Literatur mit guten Gründen die Ansicht vertreten, in elektronischer Form dauerhaft publizierte Veröffentlichungen auch als „erschienen“ im Sinne des Urheberrechts anzusehen (Dreier/Schulz, § 6 UrhG, 5. Aufl. 2015, Rn. 16), doch bleibt in der Praxis eine gewisse Unsicherheit bestehen, die im Zuge der Reform beseitigt werden sollte.


Mit Blick auf die berechtigten Interessen der Rechteinhaber sollte bei lediglich digitalen Vorlagen aber nur eine Lieferung in analoger Form möglich sein, damit durch die Dokumentlieferung die elektronische Fassung nicht vollständig substituiert wird.


Es wird daher vorgeschlagen, über die schon genannten Änderungen hinaus § 60e Abs. 5 UrhG-RefE wie folgt zu fassen:


„Auf Einzelbestellung an Nutzer übermitteln dürfen Bibliotheken Vervielfältigungen von bis zu 10 Prozent eines erschienenen Werkes, seit zwei Jahren vergriffener Werke sowie einzelner Beiträge, die in Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind. Dient die Nutzung gewerblichen Zwecken, so ist die Übermittlung nur im Wege des Post- oder Faxversandes zulässig. Dies gilt auch für den Fall, dass die Vorlage für die Vervielfältigung in elektronischer Form veröffentlicht wurde.“


2.13 Keine Dokumentlieferung durch Archiv- und Museumsbibliotheken?


In § 60f Abs. 1 UrhG-RefE werden die Bestimmungen für Bibliotheken auch in anderen Bildungseinrichtungen und Gedächtnisinstitutionen mit Ausnahme von Absatz 5 für entsprechend anwendbar erklärt. Hier sollte nicht übersehen werden, dass es an den genannten Einrichtungen bedeutende Bibliotheken mit sehr speziellen Beständen gibt, die etwa im Rahmen der Dokumentlieferung eine wichtige Versorgungsfunktion haben.


Beispielhaft genannt sei die Bibliothek des Deutschen Museums in München, die mit einem Bestand von über 950.000 Medieneinheiten die Größe einer Universitätsbibliothek erreicht. An dieser Stelle zeigt sich wieder, dass der vorliegende Gesetzentwurf Begriffe wie „Bibliothek“ oder „Archiv“ nicht funktional, sondern institutionell versteht. Um den Bibliotheken der in § 60f Abs. 1 UrhG-RefE genannten Institutionen weiterhin eine aktive Teilnahme an der Dokumentlieferung zu ermöglichen, sollte § 60f Abs. 1 UrhG-RefE am Ende wie folgt gefasst werden:


„… gilt § 60e entsprechend, wobei Absatz 5 nur für die Bibliotheken dieser Einrichtungen anwendbar ist.“


2.14 Subsidiäre Generalklausel für Bildung- und Forschung


Der vorliegende Gesetzentwurf hat im Sinne der Rechtssicherheit und Anwendungsfreundlichkeit auf die Einführung einer flexiblen Generalklausel für Bildung und Wissenschaft verzichtet. Mit Blick auf künftige Bedürfnisse und um unvorhersehbare Anwendungsfälle zu erfassen, sollte, wie in der rechtspolitischen Diskussion um eine angemessene Bildungs- und Wissenschaftsschranke immer gefordert (vgl. de la Durantaye, Allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke, 2014, S. 201 ff.), gleichwohl eine wenigstens subsidiäre Generalklausel eingeführt werden.


Eine solche Generalklausel hätte den Vorteil, neue Anwendungsfälle ohne Mitwirkung des Gesetzgebers praktisch umsetzen und rechtliche Zweifel gegebenenfalls gerichtlich klären lassen zu können. Damit wäre zwar eine gewisse Rechtsunsicherheit verbunden. Dies ist aber für innovative Projekte hinnehmbar, zumal sie ansonsten gar nicht oder erst nach jahrelanger Verzögerung wegen fehlender gesetzlicher Grundlagen in Angriff genommen werden könnten.


Die subsidiäre Generalklausel könnte auf Art. 5 Abs. 3 Buchst. a, Abs. 4 und 5 InfoSoc.-RL gestützt und als § 60i hinter § 60h UrhG-RefE eingefügt werden werden:


„Über die in diesem Unterabschnitt genannten Fälle hinaus dürfen Werke und sonstige Schutzgegenstände für Zwecke der nicht-kommerziellen wissenschaftlichen Forschung vervielfältigt, verbreitet und öffentlich wiedergegeben werden, sofern die normale Verwertung des Werkes oder des sonstigen Schutzgegenstandes nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.“


2.15 Sammlung und Nutzung von Netzpublikationen


In § 16a DNBG-RefE wird eine lange überfällige urheberrechtliche Grundlage für das selbständige Sammeln von Netzpublikationen durch die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) eingeführt. Die DNB ist bereits seit 2006 für die Sammlung und Bewahrung auch von Netzpublikationen zuständig. Mit der neuen Bestimmung kann sie ihrem Auftrag endlich in rechtssicherer Weise nachkommen.


Nach § 16a Abs. 1 S. 3 DNBG-RefE dürfen eingesammelte Netzpublikationen wie andere Bestandwerke genutzt werden. Das bedeutet, dass eine Terminalnutzung nach § 60e Abs. 4 UhrG-RefE zulässig ist. Problematisch ist dabei, dass die ursprünglich frei zugänglichen Netzpublikationen nach der Archivierung durch die DNB von gewerblichen Nutzern nicht mehr genutzt werden können. Nach § 60h Abs. 1 S. 1 UrhG-RefE wäre ist Nutzung der archivierten Netzpublikationen am Terminal überdies vergütungspflichtig. Das ist nicht sachgerecht, da Urheber von Netzpublikationen in aller Regel nicht an den Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften partizipieren. Damit ist eine Vergütung der zudem vergleichsweise wenigen Nutzungen in den Räumen der DNB sinnlos. Zudem ist die recht kostenintensive Sammlung und Erhaltung dieser Publikationen auch im Sinne der Urheber, deren Interessen damit genügend gewahrt werden.


3. Ausleihe von eBooks


Als Konsequenz der Entscheidung des EuGH vom 10. November 2016 (Vereniging Openbare Bibliotheken/Stichting Leenrecht) ist eine Ausleihe auch von eBooks europarechtlich zulässig. Es ist zu begrüßen, eine solche Möglichkeit künftig auch in Deutschland einzuführen. Da im UrhG derzeit aber kein eigenes Verleihrecht normiert ist, die Ausleihe von Büchern sich lediglich als Folge der Erschöpfung des Verbreitungsrechts darstellt, müsste für die bei der elektronischen Ausleihe erforderlichen Kopier- und Übertragungsvorgänge eine eigene Grundlage im UrhG geschaffen werden.


In diesem Zusammenhang wäre es auch zu überlegen, ob Bibliotheken nicht für die Nutzung an elektronischen Leseplätzen nach § 52b UrhG erstellte Vervielfältigungen ebenfalls verleihen können sollten. Um hier die berechtigten Interessen der Rechteinhaber zu wahren und einen deutlichen Unterschied zu einer jederzeit aufrufbaren Quelle auf einem Schriftenserver zu markieren, was ja eine europarechtlich so nicht zulässige öffentliche Zugänglichmachung wäre, müsste eine solche Ausleihe einen klar definierten Mindestzeitraum umfassen, um die Benutzungssituation gedruckter Bücher in Bibliotheken, die bei der Ausleihe außer Haus auch eine bestimmte Frist nicht verfügbar sind, abzubilden. Nur eine solche auch benutzungspraktische Gleichstellung der elektronischen mit der konventionellen Ausleihe dürfte den Vorgaben der EuGH entsprechen, der die Ausleihe lediglich mit Blick auf das Medienformat, nicht aber in ihrer Intensität ausweiten wollte.


4. Die besondere Situation von wissenschaftlichen Lehrbüchern


In §§ 52a Abs. 2 S. 1, 53 Abs. 3 S. 2 UrhG werden Schulbücher besonders privilegiert, indem sie von der Schrankennutzung weitgehend ausgenommen sind. Dies soll in § 60a Abs. 3 Nr. 2 UrhG-RefE auch künftig gelten. Als Grund für diese Ausnahme wird immer der Schutz des Primärmarktes für Schulbücher angeführt. Es wird befürchtet, dass durch Kopien oder die Nutzung in virtuellen Klassenzimmern der Schulbuchabsatz gefährdet, ja unmöglich gemacht wird.


Für Lehrbücher, die in der Hochschullehre zum Einsatz kommen, werden von Verlagen seit mehreren Jahren vergleichbare Bestimmungen gefordert. Nach Ansicht der Verlage sollen die Hochschulen im Wesentlichen der einzige Primärmarkt sein, der wie bei den Schulbüchern durch Schrankennutzungen gefährdet wird.


Hier darf nicht übersehen werden, dass Lehrbücher für wissenschaftliche Themen mit Schulbüchern nicht vergleichbar sind. Lehrbücher sind in vielen Disziplinen keine bloßen Einführungswerke, sondern auch wissenschaftliche Forschungsleistungen, die jenseits der bloßen Wissensvermittlung eigene Synthesen zur fachwissenschaftlichen Diskussion darstellen. Lehrbücher sind darauf angelegt, durch intensive Lektüre und Durcharbeitung die mündliche Hochschullehre zu ergänzen, die ihrerseits die ganze Breite einer bestimmten, in einem Lehrbuch repräsentierten Disziplin gar nicht abdeckt und daher notwendigerweise der Ergänzung durch eine Lehrbuchlektüre bedarf. Aus dem wissenschaftlichen Charakter des Lehrbuchs, seinem Anspruch einer umfassenden und kohärenten Darstellung eines bestimmten Themas sowie der ein ordentliches Studium kennzeichnenden durchgehenden Lektüre dieser Werke ergeben sich gegenüber einem Schulbuch signifikante Besonderheiten, die eine Gleichsetzung verbieten.


Dies zeigt sich auch beim Primärmarkt für Lehrbücher: Als Wissenschaftspublikation wird das Lehrbuch von Bibliotheken erworben. Durch die kohärente Darstellung nutzen es aber auch Berufspraktiker und allgemein wissenschaftlich Interessierte für eine weiterbildende Lektüre. Studierende werden für die intensive Durcharbeit des Buches Wert auf ein eigenes Exemplar legen, das sie mit Anmerkungen versehen können. Im Gegensatz dazu ist ein Schulbuch aus sich selbst heraus meist nicht verständlich. Es bietet Material für den Unterricht durch eine Lehrperson und wird dabei immer nur auszugsweise genutzt. Ein Erwerb zur systematischen Durcharbeitung durch Schülerinnen und Schülern ist außer bei Primärtexten für die Lektüre, die aber keine eigentlichen Schulbücher sind, unüblich. Damit verengt sich der Markt für den Schulbuchabsatz tatsächlich auf den Bereich des unmittelbaren Unterrichtseinsatzes. Wenn dort in der Regel zudem immer nur Ausschnitte eines Schulbuches genutzt werden, ist es nachvollziehbar, dass eine gesetzliche Schrankenbestimmung, die die Nutzung genau solcher Ausschnitte gestattet, den Primärmarkt empfindlich stören kann.


In der Hochschullehre hingegen ersetzen kleine Ausschnitte aus Lehrbüchern niemals die über diesen begrenzten Einsatz in der Lehre deutlich hinausgehende Funktion dieser Art von Literatur. Wo sich in der Schule die Schulbuchnutzung im Ausschnitt praktisch erschöpft, wird in der Hochschule ein Werk für die weitere Nutzung geradezu empfohlen.


Will man gleichwohl mit den Verlagen eine besondere Schutzbedürftigkeit des Lehrbuchs annehmen und seine Nutzung von den Schrankbestimmungen weitgehend ausschließen, so liegt dem die im Übrigen unbewiesene Annahme zugrunde, dass dadurch der Absatz von Verlagsprodukten abgesichert wird. Diese Annahme ist zudem trügerisch. Sie blendet die Tatsache aus, dass Materialien für Studium und Lehre nicht mehr nur von Verlagen angeboten werden, sondern in immer größerem Maße auch frei zugänglich im Internet zu finden sind. Im Zusammenspiel mit der allgegenwärtigen Digitalisierung der alltäglichen Kommunikation und dem Aufstieg des Internet zum Leitmedium gerade jüngerer Menschen können Benutzungsverbote in Form Schrankenausnahmen sogar eine negative Wirkung für den Primärmarkt entfalten.


Anstatt nämlich bei den Verlagen durch Buchkäufe und Lizenzierungen Umsätze zu generieren, wird die Aufmerksamkeit der Lehrenden und Unterrichtsteilnehmer auf frei zugängliches Material im Internet gelenkt. Die Tatsache, dass die Diskussion um Open Educational Ressources (OER) im Schulbereich konzeptionell viel weiter ist als in der Hochschullehre, könnte sehr plausibel mit dem Verbot der Schulbuchnutzung in digitalen Arbeitsumgebungen zusammenhängen.


Überträgt man diese Beobachtung auf den Hochschulbereich, so würde eine Schrankenausnahme für Lehrbücher vermutlich nur den Effekt haben, dass Lehrende und Studierende verstärkt auf freie Online-Angebote oder einige wenige Paktangebote großer Konzernverlage zurückgreifen werden.


Die einfache und unkomplizierte Schrankennutzung hingegen gibt einer ohnehin schon sehr stark digital orientierten Studierendengeneration Gelegenheit, überwiegend allein gedruckt vorliegendes Material vor allem kleinerer Verlage überhaupt erst zur Kenntnis zu nehmen, es zu testen und dann – nicht selten durch eigene Käufe – intensiv zu nutzen.


Angesichts des rasanten Medienwandels müsste es im vitalen Interesse der Verlage sein, dass ihre Erzeugnisse nicht unsichtbar werden. Durch klare und unbürokratisch zu nutzende Schrankenbestimmungen kann hierfür ein wichtiger Rahmen bereitgestellt werden. Lehrende können sich dann allein auf inhaltliche Aspekte konzentrieren, anstatt Abrechnungsmasken auszufüllen oder nach parallelen Verlagsangeboten zu recherchieren. Eine einfache Basisnutzung in einem klar definierten Umfang sichert Verlagen die Wahrnehmbarkeit im digitalen Zeitalter.


5. Der Vorrang von Verlagsangeboten und einzelfallbezogene Vergütungen


Aus dem Vorstehenden wird auch ersichtlich, dass ein Vorrang von Verlagsangeboten oder eine einzelfallbezogene Vergütung in der Praxis nur dazu führen werden, die Schrankennutzung kompliziert und bürokratisch, mithin unattraktiv zu gestalten. Nicht nur muss die erfolgte Nutzung genau dokumentiert und ein entsprechendes Budget für Vergütungen verwaltet werden, es muss vorher auch recherchiert werden, ob Verlage eigene Angebote machen und anschließend noch bewertet werden, ob diese Angebote im konkreten Einzelfall auch angemessen sind. Neben dem dafür erforderlichen Zeitaufwand tritt durch die Frage der Angemessenheit des Angebotes noch die Unsicherheit eines mit dem Risiko einer juristischen Ausweinandersetzung belasteten unbestimmten Rechtsbegriffs.


Der von den Verlagen durch einen Vorrang ihrer Angebote sowie eine nutzugsbezogene Einzelabrechnung intendierte Effekt einer Umsatzsteigerung ist hier, wie bereits bei der möglichen Bereichsausnahme für Lehrbücher schon angedeutet, überaus unsicher. Gerade für die Hochschullehre werden Lehrende lieber zu freien oder selbst erstellten Materialien greifen sowie die an allen Hochschulen gut vorhandenen Angebote und Pakete einiger weniger sehr großer Wissenschaftsverlage nutzen.


Leidtragende dieser Entwicklung werden vor allem die kleinen und mittleren deutschen Wissenschaftsverlage sein, deren Produktion in einer zunehmend digital geprägten Lern- und Forschungsumgebung zunehmend unsichtbar wird. Der vorliegende Gesetzentwurf wird, indem er auf einen Verlagsvorbehalt genauso wie auf eine Einzelabrechnung verzichtet, nicht nur dem öffentlichen Interesse an der einfachen Nutzung von Bildungs- und Wissenschaftsinhalten gerecht, sondern auch dem ebenfalls öffentlichen Interesse an einer vielfältigen Verlagslandschaft und deren Überleben bzw. Transformation im digitalen Zeitalter.


Er erfüllt damit auch in hohem Maße die Anforderungen des europarechtlichen Drei-Stufen-Tests in Art. 5 Abs. 5 der InfoSoc-RL. Die normale Verwertung eines Werkes, die durch urheberrechtliche Schrankenbestimmungen nicht beeinträchtigt werden darf, kann nämlich nicht nur durch die bloße Existenz einer Schranke, sondern auch durch ihre unbedachte, die aktuelle mediale Situatione ausblendende Ausgestaltung gefährdet werden.


6. Fazit

Der Referentenentwurf des UrhWissG verdient Zustimmung und Unterstützung. Lediglich bei § 60e UrhG sind einige Korrekturen erforderlich, damit die neue Rechtslage kein Rückschritt gegenüber dem geltenden Recht darstellt. Wird dies beachtet, sollte der Entwurf auch im Interesse einer Befriedung der jahrelang schwelenden Urheberrechtskonflikte an den Hochschulen, Bildungs- und Forschungseinrichtungen zügig umgesetzt werden.

12. Februar 2017
von Eric W. Steinhauer
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Bibliotheken und Internet (1996)

Aus der Frühzeit des Internet gibt es eine interessante Aussage in BT-Drs. 13/5197 vom 27. Juni 1996. Es handelt sich um einen Antrag der SPD-Fraktion mit dem Titel "Deutschlands demokratischer Weg in die Informationsgesellschaft".

Es geht in dem Antrag u.a. um die flächendeckende Versorgung mit Online-Diensten. Bibliotheken sollten dabei ein große Rolle spielen. Derartige Überlegungen sind gegenwärtig, wo das mobile Internet zu günstigen Konditionen Wirklichkeit wird, vielleicht nicht mehr so nötig.

Spannend ist aber diese Aussage: 
"Besondere Bedeutung kommt künftig auch den Bibliotheken zu. Zusammen mit den Hochschulen muß es zu ihren Aufgaben gehören, die 'informationelle Kontinuität' in der Gesellschaft zu gewährleisten. Ansonsten könnte sich die Informationsgesellschaft - angesichts der Flüchtigkeit elektronischer Informationen und rascher technischer Veränderungen - als eine Gesellschaft von 'informationellen Informationsinseln' im Strom der Zeit erweisen, die untereinander nicht mitteilungsfähig sind."

In der Debatte zum Deutschen Nationalbibliotheksgesetz und den erweitertern Sammelauftrag der Nationalbiliothek für Netzpublikationen wurde diese Drucksache wörtlich zitiert, vgl. PlPr. 16/11, S. 775.

Bibliotheken sollen auch im digitalen Zeitalter das Gedächtnis der Informationsgesellschaft sein. Interessant ist, dass auch den Hochschulen hier eine gesellschaftliche Aufgabe zugedacht wird. Das entspricht leider nicht dem gegenwärtigen Mainstream im Hochschulrecht, der eher nach Abschottung und Abstoßen nicht streng hochschulbezogener Aufgaben aussieht. 

12. Februar 2017
von Eric W. Steinhauer
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Insolvenz und Nische: Leitbild Bibliothekar 2035

Reden wir Klartext: Das Leitbild des Bibliothekars für die nächsten 20 Jahre ist das eines klugen Insolvenzverwalters. Es kommt darauf an, dass wir uns mit Anstand vom Acker machen und das Gute aus der alten Bücherwelt in die neuen digitalen Medienräume einbringen.

Dort werden auch, ganz so wie bei einer erfolgreichen Insolvenz, bei der gesunde Unternehmsteile gewinnbringend veräußert werden können, die tragfähigen Angebote und Stärken unserer Institution weiterexistieren.

Darüberhinaus gehende Visionen aber sind antiquarische Spielereien, Folgen zu langer Rotweinabende oder - bestenfalls - “special interest”-Angebote, mit einem Wort: Nische.

12. Februar 2017
von Eric W. Steinhauer
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Quantitative Methoden …

Klartext bei Jan Grossarth “Wohin mit ihm? - Der arme Intellektuelle” in der FAZ: 

“Die empirische Ausrichtung der Sozialwissenschaften ist antiintellektuell.”

12. Februar 2017
von Eric W. Steinhauer
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Consultant-Blech-Sprech

In einer Broschüre eines BWL-nahen Verlages findet sich ein Interview mit einem “Consultant” zum Thema Digitalisierung. Hier die jeweils ersten Sätze seiner Antworten:

“Das Internet ist heute in den Unternehmen angekommen.”

Wow!!! Heute!

“Innovationen und Ideen zu teilen, war für erfolgreiche Mittelständler noch nie ein Fremdwort.”

Innovationen und Ideen SIND Fremdworte! … siehe Duden.

“Eine Führungskraft braucht keine spezifischen IT-Kenntnisse.”

Spezielle Kenntnisse sind nie gut. Klar.

“Das Internet verändert den Raum, in dem wirtschaftliches Handeln passiert, die Art und Weise wie Kunden denken und wie ihre Wünsche entstehen.”

Die gute alte Raum-Metapher. Cyper-Space und Surfen ist aber so 90er … irgendwie …

“Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass der digitale Wandel alle Branchen und Geschäftsbereiche betrifft.”

Das richtige Bewusstsein … Hilfreich. Gewiss. 

Fazit: Wer dafür Geld ausgibt, kann es auch zum Astrologen tragen. Das ist wenigstens lustig.

12. Februar 2017
von Eric W. Steinhauer
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Bibliothek – Wissenschaft – Politik

In der FAZ vom 4. Februar 2015 (Nr. 29, S. N3) wird Rolf Griebel wie folgt zitiert:

“In der Zeit, in der meine Vorgänger wissenschaftlich gearbeitet haben, war ich im Landtag”