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Bibliothekarische Stimmen. Independent, täglich.

Was machen wir auf der Taiga?

Hoffentlich ist die Vermutung, das sogenannte Taiga Forum bleibt in europäischen bibliothekarischen Kreisen fast gänzlich unbekannt, nicht falsch. Ich glaube nicht, denn auch in nordamerikanischen Kreisen haben nur wenige davon gehört. Also, kurze Einführung: am Taiga Forum dürfen ausschließlich stellvertretende Bibliotheksdirektor und -direktorinnen (außerdem nur die aus einer WB) teilnehmen. Es gibt weder eine formale Organisation noch Mitgliedsbeiträge; der oder die ist drin, wer ab und zu das seit 2006 stattfindende jährliche Treffen besucht und/oder die Mailingliste abonniert bzw. der Facebook-Gruppe beitritt (eigentlich sind beide „invitation only“).

Auf dem Taiga Forum werden gelegentlich die Provocative Statements (provozierende Aussagen; auch 2006 und 2009) erarbeitet. Dass viele Fachkollegen aber den damit verbundenen Hinweis (nämlich: „the statements are intended to provoke conversation rather than attempt to predict the future“) entweder nicht wahrnehmen oder nicht wahrnehmen wollen, erhöht bloß den Provokationseffekt. Prägnante Beispiele:

  • Nr. 5, 2011: Within five years, information needs will be met through on-demand purchasing. Big deals will have been eliminated and collection building will only be meaningful for a select few designated libraries.
  • Nr. 6, 2009: Within the next five years, libraries will provide no in-person services. All services (reference, circulation, instruction, etc.) will be unmediated and supported by technology.
  • Nr. 10, 2006: Within the next five years, e­books and e­book readers will be ubiquitous.  Standards will have magically made this  possible. Hand helds will be ubiquitous and library resources will need to be accessible to these devices to meet user needs.

Es geht aber auch teilweise härter zu.

Da ich gerade etwas geschildert habe, was eigentlich nur als verdächtig zu bezeichnen ist–eine nebulöse und keineswegs repräsentative Ansammlung von Entscheidungsträgern erlaubt sich z.T. verheerende Urteile zu verkünden–sollte es nicht wundern, wenn das Taiga Forum von vielen Nicht-Teilnehmern verachtet oder zumindest gefürchtet wird. Als ich ihm meine erste Taiga-Teilnahme mitgeteilt habe, hat ein mir freundlich geneigter sowie untergeordneter Kollege sein Missfallen für Taiga ziemlich unverhohlen ausgedrückt: Taiga sei die „I’ve got mine, so fuck y’all“ Organisation („ich habe meins, also könnt ihr mich mal“).

Mit seinen netten Glückwünschen im Sinne habe ich neulich mein erstes Taiga Forum erlebt. Genauer gesagt, ich habe mit einer Gruppe von ca. 60 Amtskollegen aus diversen Bibliotheken sieben diskussionsreiche Stunden verbracht. Sehe ich die bibliothekarische Welt jetzt genau wie sie ist, ganz ohne sentimental gefärbte Brille? Habe ich jetzt das supergeheimisvolle Kennwort, das alle Türen öffnet? Haben wir stellvertretende Bibliotheksdirektor den Untergang der modernen wissenschaftlichen Bibliothek sowie die Entlassung sämtlicher Bibliothekare sorgfältig geplant? Nein, doch nicht, sondern ich erlebte eine lebendige und sachlich geführte Diskussion rund um die Kernfragen, die uns alle beschäftigen. Wie machen wir die „neuen“ Dinge, wenn wir die alten noch nicht loslassen dürfen bzw. können? Wo finden wir Arbeitskräfte mit den Fähigkeiten, die wir dringend brauchen? Was machen wir mit Alteingesessenen, die sich weigern, überhaupt etwas Neues anzueignen?

An dieser Stelle nur noch die Empfehlung, einen Blick auf die Provocative Statements zu werfen. Sie bieten keineswegs angenehme Lektüre, aber als Denkanstöße taugen sie allemal. Auch eine Frage hätte ich für die Runde: gibt es ein Treffen wie das Taiga Forum in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz? Wenn nicht, wäre es überhaupt denkbar?

Foto: flickr – useless no more