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Eigenlogik der Städte – Eigenlogik der Bibliotheken

Uni Basel bearbeitet-1

Bibliothek Universität Basel, Deutsches Seminar (16.10.2014)

Die letzten Tage habe ich mich in „Städte und ihre Eigenlogik. Ein Handbuch für Stadtplanung und Stadtentwicklung“ von Martina Löw und Georgios Terizakis (Hrsg.) vertieft und mich Folgendes gefragt: Wenn Bibliotheken auch eine Eigenlogik haben, mit Hilfe welcher Parameter könnte man diese untersuchen?

Der Begriff der „Eigenlogik“ geht von der Darmstädter Stadtsoziologie und dort ganz besonders von Martina Löw aus. Eigenlogik lässt sich beschreiben als „Orientierung an habituellen, doxischen Sinnwelten und Handlungsroutinen, lokalen Wissensbeständen, Ausdrucksformen oder Netzwerken […] Was sind die Do‘s un Dont‘s (sic) einer Stadt und was wird überhaupt wie gemacht?“[1] Es handelt sich also um Muster in der Eigenwahrnehmung, im Selbstverständnis und in der Entwicklung einer Stadt als Ganzes. Stuttgart ‚tickt‘ anders als München und Basel anders als Zürich. Die Eigenlogik einer Stadt findet sich auch in ihren Institutionen wie etwa Museen, Universitäten und Bibliotheken. Bei den Universitäten spielt deren Geschichte eine große Rolle und gerade bei alten Universitäten ist diese eng mit der Stadtgeschichte verbunden. In Oxford beispielsweise ist die Stadt um die Universität und ihre Colleges herum entstanden, im Stadtkern ist die Universität omnipräsent. Historische, neugebaute und umgewidmete Gebäude bilden Ensembles mit einer ganz besonderen Atmosphäre, bedingt durch eine vielfältige kulturelle Schichtung.

Kommen wir zu den Bibliotheken: Natürlich macht es in erster Linie einen Unterschied, um was für eine Bibliothek es geht. Ist es eine Stadt(teil)bibliothek, eine Landesbibliothek, eine Nationalbibliothek, eine Universitätsbibliothek … Dann kommt es darauf an, wie diese Bibliothek städtebaulich und/oder hochschularchitektonisch eingebettet ist in ihre Umgebung: Zentrum oder Peripherie, Neubau oder Umwidmung eines Gebäudes mit einer ehemals anderen Funktion, wird dem Bau auf Grund seiner Geschichte und/oder ikonischen Gestalt eine bestimmte Deutung zugeschrieben – konkurrieren evtl. sogar divergierende Bedeutungszuschreibungen? An welche Zielgruppe richtet sich die Bibliothek und so weiter und so fort.

Es ist spannend zu sehen, an wie vielen Orten aktuell Bibliotheken neu- oder umgebaut werden, speziell in Universitäten und Hochschulen entstehen neue Konzepte für Lern- und Arbeitsräume, die häufig in Zusammenarbeit mit Bibliothek, ICT und Hochschuldidaktik/Lehrentwicklung konzipiert und umgesetzt werden. Da geht es nicht nur um „lokale Rezeptionsformen und Sinnstiftungsprozesse“[2] einer spezifischen Hochschule, sondern um die ganz eigenen Lern- und Arbeitskulturen der jeweiligen Institution. Studierende der ETH Zürich ticken nun mal anders als Studierende der Uni Konstanz oder der Uni Basel – und das nicht nur im Vergleich innerhalb der Disziplinen, sondern auch darüber hinaus. Es gilt auch zu fragen, welche Idealvorstellungen zu Studium und Wissenschaft vorherrschend sind. So ist mir bei meinem Forschungsaufenthalt in Oxford (2010) deutlich geworden, dass dort auch in Zeiten von Bologna weniger kollaborative, selbstgesteuerte Gruppenprojekte, als vielmehr die individuelle, hochkonzentrierte, lektürebasierte Auseinandersetzung mit Fachthemen den Kern des Studiums bilden. Dementsprechend ist auch die Infrastruktur anders, beispielsweise wird in manchen Bibliotheken gänzlich auf Kopierer und Scanner verzichtet –frei nach dem Motto, dass Bücher zum Lesen und nicht zum Kopieren da sind.

Prototyp des “student project house”, gebaut am 10.06.2015 in einer Gruppe mit 4 anderen, an der ETH Zürich

Für die PlanerInnen und ArchitektInnen von Bibliotheken bedeutet das Vorangehende, dass eine der Planung vorausgehende, umfassende Analyse der Eigenlogik einer Bibliothek unerlässlich ist. Welche Eigenlogik liegt der Bibliothek und ihrer Umgebung zugrunde? Wer ist die Zielgruppe, wie lässt sich diese Zielgruppe charakterisieren, welche Bedarfe und Bedürfnisse macht diese Zielgruppe aus und wie können diese in der Konzeption einer Bibliothek berücksichtigt werden? Ebenso wie ich für human centered urban spaces plädiere, plädiere ich auch für human centered libraries, deren itterative Planungs- und Umsetzungsverfahren möglichst viele stakeholder einbeziehen. Ein methodischer Ansatz unter vielen könnte hier das Design Thinking sein. Bei einer Prototyping-Session zum geplanten „student project house“ der ETH Zürich am gestrigen Abend durfte ich gemeinsam mit einem Team aus Studierenden und der ETH Rektorin Sarah Springman das oben gezeigte Schmuckstück entstehen lassen. Eine großartige Erfahrung.

Eine Anmerkung zum Schluss: Aktuell bereite ich eine entsprechende Publikation vor mit dem Titel: „Besucher? Nutzer? Kunde? – Mensch! Raumsoziologische Perspektiven auf Bibliotheksgestaltung im Sinne des Human Centred Design“, sie wird voraussichtlich im Herbst erscheinen im Sammelband „Selbstgesteuert, kompetenzorientiert und offen?! Aktuelle Studien-, Unterstützungs- und Beratungsstrukturen auf dem Prüfstand“, herausgegeben von Rolf Arnold et al., im Schneider Verlag Hohengehren.


[1] Löw, Martina and Georgios Terizakis. 2011. “Städte und ihre Eigenlogik. Ein Handbuch für Stadtplanung und Stadtentwicklung.” Frankfurt: Campus Verlag. S. 15f.

[2] Vinken, Gerhard. 2011. “Lokale Sinnstiftung – Die Bedeutung der Denkmale.” Pp. 73-82 in Städte und ihre Eigenlogik. Ein Handbuch für Stadtplanung und Stadtentwicklung, edited by M. Löw and G. Terizakis. Frankfurt: Campus Verlag. S. 81

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