Es war im Februar 2002, als die »Budapest Open Access
Initiative«
mit einer fulminanten Erklärung an das Licht der
Medienöffentlichkeit trat: Die neuen Möglichkeiten der global
vernetzten Datentechnik – vulgo: Internet – sollten genutzt
werden, so die Erklärung, um zwei Dinge zu erreichen: Zum einen
sollte durch Nutzung der neuesten technischen Möglichkeiten die
wissenschaftliche Literatur zu geringeren Kosten als bisher
zugänglich gemacht werden; und zum anderen erhoffte man sich
dadurch politische Effekte, daß durch die Distribution von
wissenschaftlichen Publikationen »im Netz« der Grund dafür gelegt
werde, »die Menschheit in einem gemeinsamen geistigen Gespräch
und einer gemeinsamen Suche nach Wissen zu vereinen« (uniting
humanity in a common intellectual conversation and quest for
knowledge).
Dafür, daß diese Erklärung nicht folgenlos blieb, sorgte das
mächtige von George Soros initiierte »Open Society Institute«,
das inzwischen als »Open Society
Foundations« firmiert
und auf mehr als 120 Länder unserer Welt bislang mehr als 18
Milliarden US-Dollar regnen ließ, um, wie es auf der Website der
Organisation
heißt, »inklusive und dynamische Demokratien aufzubauen«
(building inclusive and vibrant democracies). Das ist eine klare
Agenda mit einem klaren Ziel: Offenbar dank einer intellektuellen
Anleihe bei Teilhard de Chardin geht man von einer Art digitaler
»Noosphäre« aus,
einer geistigen Sphäre, die unseren Planeten in zunehmender
Dichte umhüllt und die Menschheit in einer globalen Demokratie
vereinen wird. Nur daß man diese geistige Hülle ganz materiell
als die digitale Infrastruktur des Internet versteht und die von
Teilhard angenommene kosmische Erlösung als irgendwie »inklusive«
Selbsterlösung der Menschen interpretiert. Ohne Christus,
versteht sich.
[Shadow Ayush, CC BY-SA
4.0, via
Wikimedia Commons]
Wie immer bei solchen ins Weltliche gedrehten Erlösungsphantasien
ist es sinnvoll, den Realgehalt des hinter der Phantasie
stehenden Problems von dem zu trennen, was durch die Realität
nicht mehr gedeckt ist und ins Phantastische durchstartet. Dieser
Realgehalt ist einfach zu benennen: Man wollte die viel
besprochene
»Zeitschriftenkrise«,
die eine Krise der galloppierend steigenden Kosten (auf seiten
der Produzenten) und Preise (auf seiten der Abonnenten) für
wissenschaftliche Fachzeitschriften war und ist, dadurch lösen,
daß man vom Gedruckten aufs Digitale und »das Netz« wechselte,
unter der Annahme, Digitales ließe sich »im Netz« günstiger
produzieren und distribuieren als Gedrucktes. Das war von Anfang
an eine Milchmädchenrechnung und ist in diesem
Blog
vielfach dargestellt und analysiert worden. Wenn das inzwischen
auch die Mainstream-Bibliothekarinnen von den Dächern pfeifen,
dann darf man daraus schließen: Die bittere Realität, daß »Open
Access« keineswegs kostenminimierend wirkt, läßt sich nicht mehr
verleugnen.
Und ebensowenig verleugnen läßt sich, daß »Open Access« in dem
Bestreben, alles irgendwie ganz einfach zu machen im Sinne von:
ein einfacher Medienwechsel hin zum Global-Digitalen und,
schwupp, seid ihr alle Probleme los — daß »Open Access« ganz real
und ganz banal in den Bibliotheken eine bürokratische
Komplexitätsmaximierung bewirkt hat. Denn seither dürfen sich
Bibliotheken nicht nur mit den Abonnements für einzelne gedruckte
Fachzeitschriften plagen, mit gemischten Abonnements für einzelne
gedruckte und zugleich online distribuierte Fachzeitschriften,
mit Paketabonnements, die über rein digitale »Paketkäufe« ganze
wissenschaftliche Programmbereiche von Verlagen oder
Verlagskonsortien umfassen, und natürlich mit dem Problem der
Inversfinanzierung von »Open-Access«-Zeitschriftenartikeln, die
nicht erst finanziert sein wollen, wenn der Artikel auch von
jemandem gelesen wird, sondern schon im Moment ihrer digitalen
Publikation auf einem Volltextserver: dann muß an der
Publikationsquelle bezahlt werden, was an zukünftigen Kosten für
Bereitstellung und dauerhafte Bereithaltung des Artikels »im
Netz« so anfallen wird.
[HartiV, CC BY-SA
3.0, via
Wikimedia Commons.]
Diese Komplexitätsmaximierung läßt sich leicht an zwei Parametern
ablesen. Der eine Parameter ist der verbale: Wo bislang, dem
Dogma von »Open Access« entsprechend, von einem
»grünen«
und einem
»goldenen«
»Open Access« die Rede war und mit sehr direktem »Nudging« dafür
geworben wurde, daß die Wissenschaftler ihre Publikationen auf
»goldenem Weg« und also direkt auf den Volltextservern ihrer
wissenschaftlichen Institute veröffentlichen, knospt das Wortfeld
von »Open Access« inzwischen munter vor sich hin. Wem »grün« und
»gold« nicht genügen, der wird sich und anderen jetzt auch mit
»grau«
oder gar mit
»bronze«
einen »Open-Access«-Publikationsgefallen zu tun versuchen. Wie
verwirrend das selbst für Insider ist, merkt man daran, daß
einige »bronze« für »platin« oder gar für
»diamanten«
halten. Kurz: Wir haben hier ein metallurgisches
Legierungsproblem vor Augen, das nur unzureichend überdeckt, daß
unter der Legierung immer wieder dasselbe Problem zum Vorschein
kommt, nämlich die sehr realen Kostenfaktoren, die bei der
Erstellung, Distribution und dauerhaften Bereithaltung einer
wissenschaftlichen Publikation zu Buche schlagen. Und diese
Kosten steigen, völlig unabhängig davon, ob man eine Publikation
drucken läßt, sie digital »ins Netz« befödert oder es — noch so
ein Wort — »hybrid« mit beidem zugleich versucht.
Der zweite Parameter, an dem sich die Komplexitätsmaximierung
ablesen läßt, ist der organisatorische. Denn längst ist aus der
Einfachidee, man müsse nur das Medium wechseln und eine digitale
Plattform fürs digitale »Open-Access«-Publizieren einrichten, ein
Sammelsurium von steuerfinanzierten Projekten geworden, die diese
Einfachidee organisatorisch umzusetzen versuchen und dabei munter
dafür sorgen, daß sich die ganze »Open-Access«-Chose zu einem
Organisationsgestrüpp verheddert. Und damit das Gestrüpp nicht zu
leicht durchkämmt werden kann, ist es zu einem Doppelgestrüpp
geworden, das links und rechts der munter fließenden
Steuersubventionen auf der einen Seite ein dorniges Gebüsch mit
steuerfinanzierten
Projekten
hervorgebracht hat, die nichts anderes tun als zu »erforschen«,
auf welchem Wege man »Open Access« in der Wissenschaft per
»Nudging« durchsetzen und der Öffentlichkeit als angemessen
verkaufen kann, während auf der anderen Seite ein etwas kleineres
Gesträuch von Projekten dafür sorgt, daß dort auch real in »Open
Access« »gemacht« wird. Hierher gehören die
»Transformationsverträge«,
die man mit Verlagen abschließt, um deren Verlagsangebot (oder
Teile davon) auf die »Open-Access«-Mühlen umzulenken (der
berühmteste dieser Verträge ist zweifellos
»DEAL«);
hierher gehören aber vor allem die vielen Versuche,
Organisationen auf die Beine zu stellen, die für bestimmte
wissenschaftliche Segmente »Open-Access«-Publikationslösungen
anbieten, als da wären
»copim«,
»SciPost«,
»Scoap3«, »OACIP
Lyrasis«,
»The Open Library of the
Humanities«, »Opening
the Future« oder neuerdings
»KOALA«.
[Nicolás Tamargo, CC0, via
Wikimedia Commons.]
Man muß sich das alles nicht im Detail merken, denn das, was sich
hier zum Gestrüpp ausgewachsen hat, ist phytologisch nichts
weiter als eine pilzige Scheinblüte. Sie wird hervorgebracht
letztlich durch einen seit zwanzig Jahren vom Steuerhimmel
fallenden Dauerregen von Subventionsgeldern, mit denen so getan
wird, als würden damit »Geschäftsmodelle« etabliert, bei denen es
sich aber keineswegs um echte und damit risikobehaftete
ökonomische Aktivitäten handelt, die miteinander konkurrieren,
sondern um nichts weiter als — nun ja, um steuerfinanzierte
Sumpfblüten. Sie werden, zusammen mit den zahllosen
Projektstelleninhaberinnen,
die diese Sumpfblüten bevölkern, in dem Moment sang- und klanglos
verschwunden sein, da das politische System sich daran erinnert,
daß es sich nicht durch die Konsumption von Steuermitteln erhält,
sondern durch die Produktion von realen Waren und Gütern, die auf
einem realen Markt auch verkaufbar sind und reale Einnahmen
erzeugen. Die »Geschäftsmodelle«, deren man sich in der
»Open-Access«-Community rühmt, gehören nicht auf die Linie dieser
harten Realität.
Und damit sind wir bei jenem Phantastischen angelangt, das
jenseits des ins Sumpfblütige strebenden Realgehalts von »Open
Access« dafür sorgt, daß die ganze Sache munter
weiterläuft. Dieses Phantastische ist die von Teilhard de Chardin
geerbte und entchristlichte Erlösungshoffnung, die von einem
»Punkt Omega« träumt, an dem die kosmischen Energien in einem
Überpersönlichen zusammenfließen, das sich durch eine maximale
Komplexität nach innen wendet und eine Art kosmisches Bewußtsein
hervorbringt. Damit hat Teilhard das Christentum verweltlicht:
Sein Christus ist als »Punkt Omega« das Resultat eines kosmischen
Evolutionsprozesses, der an seinem Höhepunkt zum Erscheinen des
kosmischen Bewußtseins (und nicht zur Parusie Christi) führen
soll. Mehr noch: Indem die in diesem kosmischen Evolutionsprozeß
wirkenden »Kräfte der Vergeistigung« eine »technisch-soziale
Totalisierung« auslösen und verstärken sollen,1 hat Teilhard
die Technik zu einem notwendigen Element nicht nur der kosmischen
Evolution, sondern auch der am Ende dieser Evolution auftretenden
Erlösung gemacht.
[Shadow Ayush, CC BY-SA
4.0, via
Wikimedia Commons.]
Vor diesem Hintergrund bekommt die Rede von der Menschheit, die
sich, wie es vor zwanzig Jahren in der »Budapester Erklärung zu
Open Access« hieß, in einem »gemeinsamen geistigen Gespräch«
vereinen soll, ihr ganzes Gewicht. Es ist das Gewicht einer
Ersatzreligion, die mit der Hoffnung hausieren geht, durch eine
planetare Totaltechnik wie das Internet könne nicht nur die
Menschheit geeint werden, sondern die »quest for knowledge« zu
ihrem Maximum gebracht werden. Daß an diesem Maximum dank
maximaler Komplexität der Durchbruch zu »Omega« erfolgen soll,
wird die »Open-Access«-Jüngerinnen erfreuen: Sie tragen
schließlich jeden Tag, siehe oben, zu dieser
Komplexitätsmaximierung bei und dürfen diese folglich als ihren
ganz persönlichen Schritt auf dem Weg zur Erlösung verstehen.
Wir andern, die wir auf die Realität schauen, sehen indessen in
der zunehmenden Komplexität nicht das Zeichen für einen
bevorstehenden evolutionär-finalen Durchbruch zu »Omega« oder was
auch immer, sondern das Vorzeichen eines Scheiterns, das um so
wahrscheinlicher wird, je mehr die Komplexität gesteigert
wird. Jedenfalls gibt es mit Blick auf die Realgeschichte gute
Gründe, das spätantike Ende des Römischen Imperiums (im Westen)
neben allerlei anderen Faktoren wie Völkerwanderung, Klimawandel
und Seuchen vor allem auf überkomplex gewordene administrative
Strukturen und Prozesse zurückzuführen, die die vorhandenen
Ressourcen überdehnten und den Staat von innen her so aushöhlten,
daß er nicht mehr handlungsfähig war.2 Da unsere Epoche in
vielem damit beschäftigt scheint, auf höherem technischem Niveau
in ihre eigene Spätantike einzutreten, wollen wir es mit diesem
kleinen Rückblick auf eine in ihr zwanzigstes Jahr eintretende
Erlösungsreligion namens »Open Access« gut sein lassen. Für alles
weitere wird dann die nicht mehr nur am Horizont sichtbar
gewordene Energiekrise sorgen, die als »Energiewende« begonnen
hat und ganz gewiß nicht zu »Omega« führen wird.
[Julie Missbutterflies from
Lannion, France, CC BY-SA
2.0, via
Wikimedia Commons.]
Pierre Teilhard de Chardin: Der Mensch im Kosmos. München:
Beck, 1981, Fußn. 1 zu S. 289. Eine ausführliche Kritik
solcher Mediengnosis bei Uwe Jochum: The Gnosis of Media. In:
Library Quarterly 74 (2004), S. 21-41
(Preprint-PDF). ↩
Joseph A. Tainter: The collapse of complex
societies. Cambridge: Cambridge University Press, 1988. ↩