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3. März 2017
von Eric W. Steinhauer
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Rechtsquelle Wikipedia?

[wird laufend aktualisiert]

Am 3. und 4. März 2017 findet an der FernUniversität in Hagen unter dem Titel "Rechstquelle Wikipedia? : Praxis - Fiktionen - Standards" ein Symposium zur Bedeutung der Wikipedia in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis statt.

Begrüßung und Vorstellung des Tagungskonzepts
(Prof. Dr. Katharina Gräfin von Schlieffen)

Es geht anekdotisch los: Darf man sein eigenes Werk bei Wikipedia promoten? Ein "Editorenkrieg" über die "Selbstbewertung" eines Hochschullehrers war der Anlass, um einmal über Wikipedia, seine Funktion und die Art der Qualitätskontrolle nachzudenken.

Wikipedia ist in der Rechtspraxis angenommen.

Gerichte setzen Fakten bei Wikipedia als gerichtsbekannt voraus, sie entnehmen dort Definitionen und sogar Rechtsauffassungen.

Wikipedia lässt sich von Laien und Juristen wie ein Rechtswörterbuch benutzen. Sie wird offenbar wie der Brockhaus früher benutzt. Probleme dabei: Zitierfähigkeit und Wahrheitsgehalt, aber auch die Flüchtigkeit und die Manipulierbarkeit der Beiträge.

Es geht auch um die rechtstheoretische Perspektive im Verhältnis von Recht und Wikipedia. Zentral ist aber auch der juristische Mediengebrauch. Bisher sind Juristen eher "medienblind", man denkt an Form und Verfahren, nicht aber an Medialität. Man meint: "Wikipedia existiert nicht, oder ist ein Lexikon." Aber stimmt das so?

Die Rechtsrhetorik gestattet es, nach Form und Inhalt zu differenzieren. Mit der Digitalisierung werden die Dinge zudem flüchtig. Gerade bei Wikipedia tritt Autorschaft in den Hintergrund. Welche Autorität wird damit noch dargestellt. Gerade die juristische Meinung verlangt das Subjekt, das sie - auch streitig - vertritt. Ist unter den Bedingungen von Wikipedia noch eine solche Meinung möglich.?

Führt das Wikisystem zu einer Demokratisierung und einer Entwertung des Experten?

Diese und weitere Aspekte soll die Tagung in verschiedenen Beiträgen beleuchten.

1. Teil: Das Konzept Wikipedia

Das Konzept Wikipedia
(Dr. Lukas Mezger, Wikimedia Deutschland)

Zu Beginn wird erst einmal die Wikipedia vorgestellt. Wikipedia ist eine Enzyklopädie in Form eines Wikis. Wikipedia ist nur ein Beispiel für ein Wiki, es gibt auch tausende andere.

Wikiprinzip: Jeder Seite kann jederzeit frei bearbeitet werden. Änderungen sind offen einsehbar. Das Herrschaftsprinzip bei Wikipedia ist "Logokratie", es geht darum, Konflikte um Inhalte werden in Diskussionen gelöst.

Wir haben in Deutschland rund 6.000 aktive Wikipedia-Autoren (mehr als 5 Bearbeitungen im Monat).

Hinter Wikipedia steht die Wikimedia-Bewegung, die im Geist der "Aufklärung" daran arbeitet, allen Menschen auf der Welt das verfügbare Wissen der Menschheit zur Verfügung zu stellen.

Die Wikimedia Foundation betreibt die Server und die Markenrechte. In Deutschland arbeitet die Wikimedia Deutschland e.V.


Rechtsvergleichende Systematik auf Wikipedia
(Dr. Lukas Mezger und Tobias Liutzi LL.M./M.Jur./M.Phil., Universität Oxford)

Wikipedia ist der Schwarmintelligenz verpflichtet, aber es gibt zugleich einen großen Bedarf an Koordination. Das Problem wird am Beispiel der Rechtsvergleichung illustriert.

Nationale Rechtssysteme sind autonom. So gibt es nicht den "Vertrag an sich", sondern immer nur in den Ausprägungen der jeweiligen Rechtsordnung.

Wikipedia dient NICHT der Theoriebildung, sondern fußt als Tertiärquelle (Enzyklopädie) auf Sekundärquellen.

Koordinierungsaufgaben nimmt die "Redaktion Recht" bei Wikipedia wahr.
Eine Konsequenz: Der Rechtsvergleich muss von einem nationalen Rechtsinstitut klar getrennt werden -> die Lemmatisierung kann daher nur national oder vergleichend sein.
Beispiel: Tötungsdelikt (Rechtsvergleichend) - Mord (Deutschland), Mord (Österreich), etc.

Neben den Lemmata gibt es Kategorisierungen, ja ganze Kategorienbäume.

Die begriffliche Arbeit in der Wikipedia deckt Lücken in der Forschungslandschaft auf, etwa: Es gibt nur unzureichende rechtsvergleichende Literatur zum Thema Verwaltungsgliederung.


Wikipedia aus Sicht des Urheberrechts
(Prof. Dr. Barbara Völzmann-Stickelbrock, FernUniversität in Hagen)