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Bibliothekarische Stimmen. Independent, täglich.

Besinnliches (?)

Shalom. Gestern begann Chanukka. Wer hat, der oder die stellte den neuarmigen Menora raus und zündet die erste Kerze an. Das Licht gewinnt über die Dunkelheit – und wenn man Pech beziehungsweise Glück hatte, kam (oder kommt noch) die Familie vorbei und man schlägt sich mit Latkes den Bauch voll.

Ich nehme das mal zum Anlass um mal über etwas anderes zu reden: Religion. Beziehungsweise (Öffentliche) Bibliotheken und Religion. Denn jetzt mal ehrlich: Wem von den hier Lesenden war bekannt, dass heute Chanukka beginnt? Ich schätze mal wenigen. Im Gegensatz zu dem anderen Fest, dass uns bevorsteht, fällt Chanukka kaum auf. Sicherlich: Niemand hat etwas dagegen, wenn es gefeiert wird, hier und da wird das Fest auch direkt mit Weihnachten verbunden. Der Chanukkamarkt im Jüdischen Museum in Berlin – der gerade dieses Jahr nicht stattfindet, was das Argument so ein bisschen kaputt macht – wird heutzutage ganz normal in die Aufzählungen der Weihnachtsmärkte, die in den Zeitungen und beim offiziellen Berlin-Portal veröffentlicht werden, eingereiht. Ein zivilisatorischer Fortschritt, den man nicht missen möchte.
Trotzdem: Mir persönlich ist die Geschichte mit den Lampen, die acht Tage brennen, statt nur einem genauso fremd, wie die Geschichte von dem Heiland, der geboren und von drei Weisen besucht wird, vom Geschenke bringenden Nordpolbewohner oder auch die Idee, einen Monat lang tagsüber zu fasten, nur weil es so geschrieben steht. Religion und Religionsersatzgeschichten fand ich schon immer komisch, aber so lange es mir niemand aufdrückt, ist mir Religion egal. Gleichwohl gehören religiöse Überzeugungen und Feste, ganz egal, wie stark oder liberal an den unterschiedlichen Traditionen angelehnt, zum Leben vieler Menschen – wenn auch deren Zahl immer weiter abnimmt. Wir leben zum Glück in einer säkularen Gesellschaft, in welcher der Glauben (oder halt Nicht-Glauben) Privatsache ist.

Nur jedesmal um Weihnachten werde ich darauf gestoßen, dass die Auslegung von „Privatsache“ relativ unterschiedlich gedeutet werden kann. Ich weiß, ich begebe mich da auf gefährliches Gebiet, dass in anderen Gesellschaften heftig umkämpft ist (Stichwort: „War on Christmas“), aber trotzdem: Wenn mir wieder und wieder Adventskalender vor die Nase gehalten werden, Tannenbäume und kleine Engel in den Weg gestellt werden denke ich unwillkürlich: „Das ist nicht mein Fest, warum nervst du mich damit?“ Mir ist schon klar, wie wenig das heutige Weihnachten mit älteren Formen des Christusfestes zu tun hat, wie viel nicht-christliches in ihm enthalten ist und das ich auch einfach die Kalender in den Blogs und der Realität genauso ignorieren kann, wie die Weihnachtsmusik im Supermarkt. Dennoch bin ich jedesmal wieder erstaunt, mit welcher Selbstverständlichkeit weiterhin davon ausgegangen zu werden scheint, dass alle Menschen dieses Fest feiern – während gleichzeitig dutzende andere religiöse oder quasi-religiöse Feste ignoriert werden. Chanukka ist da immer ein gutes Beispiel, weil es um Weihnachten herum gefeiert wird, aber auch bei anderen ist das auffällig.

Ist das okay? Oder, um auf die Bibliotheken zu kommen, ist das überhaupt angebracht? Darf eine Bibliothek in einer säkularen Gesellschaft mit ihrem Auftrag, für alle da zu sein, überhaupt bestimmte Feste bevorzugen und andere nicht? Beim Bibliothekstag 2011 saß ich beispielsweise in einer Veranstaltung, bei der unter anderem ein Leseförderprojekt vorgestellt wurde. Dieses Projekt bestand aus acht Teilbausteinen, die kombiniert werden können und praktisch jeweils ein Programm darstellen. Allerdings: drei dieser Bausteine bezogen sich auf Weihnachten und Ostern, also letztlich christliche, wenn auch heute oft säkularisierte Feste. Schon bei dem Vortrag schaute ich mich verdutzt um, fand aber niemand, der oder die ähnlich verdutzt schaute. Ich fand das absurd: Da stand also ein Referent, keinen Kilometer von der nächsten Moschee entfernt, in Berlin-Neukölln, einem Stadtbezirk, in dem auch das Zuckerfest mit Straßenfesten gefeiert wird und nicht nur Weihnachten, und fand es offenbar selbstverständlich, sich auf zwei christliche Feste zu beziehen, weil man über diese Kinder in Öffentlichen Bibliotheken ansprechen könnte. Mir erschien – und erscheint das heute noch – sehr parallelweltmäßig.

Nach dem ersten Stutzen fiel mir auf, dass ich es nicht nur vom Anspruch her schwierig fand, ich fand es auch nicht mehr realitätsgerecht. Kann man heute wirklich noch Kinder in die Bibliothek locken, wenn man Veranstaltung zu Weihnachten und Ostern anbietet? Ist das weiterhin ein Bezugspunkt? Für wen beziehungsweise für wen nicht? Und in welcher Ausgestaltung? Und wenn ja: Sollte man das tun. Denn selbstverständlich waren diese Bausteine keine große Neuerung: Bestände zu Weihnachten und Ostern – aber eben nicht oder kaum zu anderen religiösen/quasi-religiösen Festen – finden sind als saisonale Austauschbestände in zahllosen Öffentlichen Bibliotheken, gerade zu Weihnachten werden gesonderte Veranstaltungen angeboten – obwohl halt auch die Geschichten zum Ramadan oder zum Vesahk-Fest spannend sind – und werden auch Bibliotheken mit Festschmuck behangen. Bei mir wirft das Jahr für Jahr die Frage auf, warum ich eigentlich auf diese Feste hingewiesen werde, während fast alle anderen untergehen. (Ich gebe zu: Das alles kann meine subjektive Wahrnehmung sein, als atheistischer Großstädter, der zudem in einem Bezirk mit hohem Anteil von Menschen mit islamischen Glauben und muslimischer Infrastruktur lebt und um die Ecke des Zentrums des jüdischen Lebens in Berlin arbeitet. Aber deswegen schreibe ich das alles ja auch in Ich-Form.)

Mir scheinen aber mehrere Punkte problematisch:

  • Der Anspruch Öffentlicher Bibliotheken, Einrichtungen für alle Bürgerinnen und Bürger zu sein, scheint mir zumindest schwierig einzulösen zu sein, wenn Feste bevorzugt werden, die bestimmte Bevölkerungsteile feiern und andere eher nicht. Sollte man die Leute nicht entweder alle Feste feiern lassen oder einfach alle gleich ignorieren? Was ist eigentlich mit den Leuten, die keines dieser Fest interessiert?
  • Weihnacht als Feste der Nächstenliebe, der Familien und so weiter ist selbstverständlich auch ein säkularisiertes Fest, bei dem einem Großteil der Menschen die Geschichte mit dem Heiland und den drei Heiligen relativ egal ist – insbesondere wenn man sich vor Augen führt, dass in den fünf neuen Bundesländern sowie Berlin und Hamburg die christlichen Gläubigen heute statistisch in der Minderheit gegenüber den Konfessionslosen und anderen Religionen sind. Doch auch das ist kein Ausweg. Zum einen ist die religiöse Bedeutung immer da, zum anderen hat der „gute Ruf“ von Weihnachten auch immer wieder dazu beigetragen, dass er ausgenutzt wurde. (So unterstützten beispielsweise Öffentliche Bibliotheken eine Zeit lang die Organisation „Weihnachten im Schuhkarton“, die letztlich nichts anderes als eine „evangelikale Missionsaktion“ [Bistum Trier] darstellt. Damit waren die Bibliotheken nicht allein, aber darf es sein, dass radikale Christinnen und Christen, die sich vor allem darum sorgen, anderen ihren Glauben aufzudrücken, von öffentlichen Einrichtungen dabei unterstützt werden, nur weil sie mit dem Weihnachtsmotto arbeiten?)
  • Zum anderen war die Idee von der Religion als Privatsache ja gerade, dass sie Privatsache ist und bleibt. Sicherlich ist man in Deutschland nicht so weit gegangen, einfach alle religiösen Symbole in öffentlichen Einrichtungen zu untersagen – aber warum eigentlich nicht? Das macht Sachen einfacher und unaufgeregter. Mag sein, dass sich dann Religionsgemeinschaften und einzelne Religiöse ausgeschlossen fühlen, aber das gilt dann halt für alle Religionsgemeinschaften. Heute haben wir in vielen Teilen stattdessen die Situation, dass die einen Feste öffentlich gefeiert oder sich auf sie bezogen werden, während andere untergehen und das, obwohl nicht so richtig klar ist, warum die einen besser sein sollen als die anderen.
  • Zudem wäre die andere Lösung nicht unbedingt besser. Sicherlich kann man argumentieren, dass zumindest in den Großstädten muslimische und jüdische Feste gefeiert werden sollten, schließlich wohnt ein Großteil der muslimischen und jüdischen Bevölkerung Deutschlands in Großstädten und beide Religionen gehören zur zeitgenössischen deutschen Gesellschaft dazu. Aber was ist dann mit den ganzen anderen Religionen? Müssen die erst spezielle Mitgliedergrößen aufweisen? (Wie sollen die nachgewiesen werden, wenn zahlreiche Religionen gar nicht so strikt organisiert sind, wie die christliche?) Was ist mit den umstrittenen Abspaltungen? Mit den Sekten, die gerne Religionen wären? Was ist mit Atheistinnen und Atheisten, vor allem die, für die Religionen nicht egal sind, sondern irrationales und gefährliches Denken darstellen? Eine einfache Lösung gibt es da nicht.

Ich weiß: Das ist kein rein bibliothekarisches Problem und eigentlich wollen die Leute jetzt feiern und nicht mit so was genervt werden. Soll ich doch Weihnachten und so weiter ignorieren, zumal es ja eh immer weniger Weihnachtswünsche und Adventskalender werden. Ja ja, ich will ja auch nicht nerven. Doch immer Ende Dezember stößt mir diese Ungleichzeitigkeit auf und frage ich mich, ob ich der einzige bin, der denkt, dass Weihnachtskalender nerven und die Leute ihren Glauben bitte nicht in Sachen hineintragen, wo er nichts zu suchen hat. Darum sage ich es einfach mal, werfe eine rhetorische Nebelbombe und behauptet, dass wäre eine Zukunftsherausforderung. (Ansonsten feiere ich aus Höflichkeit selbstverständlich jedes Fest mit, bei dem es was ordentliches zu Essen gibt, egal ob Latkes, Baklava, Tofu oder… was auch immer an Weihnachten gegessen wird. Solange es kein Fleisch ist.)

 

Bildquelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Chanukkah2007_pic_(1)c.JPG

Autor: Karsten Schuldt

Bibliothekswissenschaftler am Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft, HTW Chur. Außerdem Redakteur LIBREAS. Pendelt zwischen Hauptort mit Geschichte (Chur), Grossstadt (Berlin) und ähm.... (Zürich).