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Twitter-Krieg gegen Verlage: auch Gallimard im Kreuzfeuer

Während in Berlin gerade ein fair-pay-Ebook per Abmahnung gestoppt wird (siehe http://archiv.twoday.net/stories/64976360/) und die von Wissenschaftler/innen initiierte Kampagne The cost of knowledge gegen die Praktiken von Elsevier auch hier in den Stimmen von Plan3t.info für Aufsehen sorgt, steht in Frankreich gerade ein anderer David einem Verlags-Goliath gegenüber: François Bon, selbst Schriftsteller und einer der Leiter des Internetverlags publie.net, hat eine von ihm selbst übersetzte Ausgabe von Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ als eBook bei publie.net zum Verkauf angeboten. Laut Verlag Gallimard, der nur eine alte, qualitativ stark kritisierte Übersetzung des Buches im Print anbietet, verstößt er damit gegen das Urheberrecht: alle Verwertungsrechte liegen beim Verlag, auch die für neue Übersetzungen und für elektronische Ausgaben des Werkes. Entsprechend verlangte der Verlag von den Vertreibern nicht nur das Entfernen des eBooks aus dem Verlagsprogramm (einer Forderung, die publie.net auch sofort nachkam), sondern auch Schadensersatz für die bisher verkauften 22 Exemplare…

Der Vorgang hat in Frankreich seit letzten Freitag in den sozialen Medien große Aufmerksamkeit ausgelöst. Vor allem bei Twitter steht der Verlag unter dem hashtag #gallimerde derzeit im Kreuzfeuer der Kritik, ja wird geradezu gelyncht, wie die Zeitschrift „Nouvel Observateur“ in einem Artikel bemerkte. Während François Bon davon ausging, dass das Buch durch den Tod Hemingways 1961 nach 50 Jahren in die public domain überging (was für Kanada, nicht aber für die USA zutrifft), laufen die Rechte in den USA durch die Verlängerung der Familie erst 2047 aus. In Frankreich dagegen gelten die Rechte generell bis zum 1. Januar 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Das wäre demnach 2032, wie Cécile Dehesdin auf slate.fr feststellt. In Kanada dürfte die französische Übersetzung online angeboten werden, so scheint es, in Frankreich aber nicht.

Die Diskussion über das komplexe Urheberrecht schlägt hohe Wellen: Hat der Verlag die Rechte nur an der alten Übersetzung, die er herausgibt? Und kann er die Verbreitung anderer Übersetzungen vom Original tatsächlich verbieten? Zählen zu den Rechten, die er seinerseits erworben hat, auch die Rechte an damals noch unbekannten Internetveröffentlichungen? Wie kann es sein, dass Rechte in verschiedenen Ländern unterschiedlich lang gelten und was bedeutet das im Zeitalter des Internet? Doch über diese Diskussion der Rechte schließen sich andere Fragen an:

Laut François Bon ist es einerseits das Gehabe des großen Verlages und dessen Einschüchterungsversuche, die ihn so in Rage brachten, dass er sogar bei Twitter kurz ankündigte, seinen Verlag publie.net komplett dicht zu machen. Der Verlag hat sich nämlich nur an die anderen Online-Vertriebsseiten von publie.net gewandt, nicht an den Verlag oder an ihn selbst. Andererseits stört ihn die Tatsache, dass der Verlag seit über 50 Jahren nur eine schlechte und überholte Übersetzung aus dem Jahre 1954 von Jean Dutourd anbietet. Sind Verlage wie Gallimard vielleicht nicht mehr auf der Höhe der literarischen Werke, die ihnen anvertraut sind?

Außerdem weißt die Diskussion, bei der viele mittlerweile wieder zu Mäßigung und Sachlichkeit aufrufen, auf die Komplexität von Urheber- und Verwertungsrecht und den Schwierigkeiten im Umgang mit der Gemeinfreiheit im digitalen Zeitalter hin. Werden durch das bestehende Recht nicht Kreativität, Teilen, Remix, Innovation behindert?

Kann ein Werk nach 50 Jahren noch einem Rechteinhaber gehören, auch wenn es zum Weltkulturerbe gehört? Oder, wie Hubert Guillard im Blog La Feuille ((Englische Übersetzung des Beitrags: http://libreacces.org/?From-Hemingway-to-ACTA-We-won-t)) von Le Monde es formuliert: Ein Patentrecht dauert 20 Jahre, danach wird es frei. Warum ist das bei kulturellen Werken anders?

Was Hemingway dazu sagen würde, weiß man natürlich nicht, aber die Frage stellt sich doch, wen die sogenannten Urheberrechte hier eigentlich schützen?

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Abbildung: Foto der deutschen Ausgabe von „Der alte Mann und das Meer“, Rowohlt 1959, von Peter576 http://www.flickr.com/photos/peter576/4449386686/sizes/m/in/photostream/

Autor: Mareike König

Leiterin der Bibliothek am Deutschen Historischen Institut Paris